Zwar wusste ich, dass 2025 Quantenjahr ist, jedoch konnte ich mir vor drei Monaten noch nicht vorstellen, wie wörtlich Quantenforscher:innen dieses Motto nehmen würden. Seit Dezember letzten Jahres haben fast alle Tech-Giganten einen neuen Quantenchip vorgestellt, der das Beste sein soll seit geschnitten Quantenbrot. Treten wir gemeinsam einen Schritt zurück und schauen uns an, was diese Chips tatsächlich können – und was nicht.
Googles „Willow“
Gehen wir chronologisch vor: Angestoßen hat die aktuelle Quantenwelle das Forschungsteam von Google Quantum AI. Es hat bereits im Dezember 2024 seinen neuen Quantenchip „Willow“ vorgestellt, auf Deutsch „Weide“. Dies ist der zweite Chip von Google, fünf Jahre nach seinem Vorgänger Sycamore (für Bergahorn oder Maulbeerfeige – die bei Google sind echte Naturburschen, wie ihr sehen könnt). Man bemerke allerdings, dass Sycamore mehrere Generationen durchlaufen hat; es handelt sich genau genommen also nicht um einen einzigen Chip.
Willow nutzt supraleitende Qubits und ist mit 105 davon ausgestattet. Das ist nicht rekordträchtig, liegt aber gut im aktuellen Trend. Einen neuen Qubit-Rekord wollte Google aber auch gar nicht aufstellen, sondern es will zwei andere Meilensteine demonstriert haben.

Erstens die Nachricht, die mehrheitlich hervorgehoben wurde: Willow soll eine Aufgabe in fünf Minuten gelöst haben, für die der beste Supercomputer 10 Quadrillionen (1025) Jahre brauchen würde. Damit stellt Google erneut die Behauptung auf, einen Quantenvorteil demonstriert zu haben. Mit solchen Behauptungen gibt es viele Probleme, die ich an dieser Stelle nicht alle durchdiskutieren will. In Kürze sei gesagt: Das ist zwar ein netter Test, aber nützlich ist er für absolut gar nichts. Außerdem halten solche Behauptungen üblicherweise nur so lang, bis jemand einen smarten Trick gefunden hat, das Problem doch mit klassischen Computern zu lösen.
Zweitens kam die Nachricht, die die meisten Forschenden tatsächlich interessant fanden: Mit Willow gelang es dem Team erstmals, Qubitfehler effektiv zu korrigieren. Effektiv heißt hier: Wenn die Forscher:innen die Anzahl der Qubits erhöhen, geht der Fehler, den sie machen, runter. Das ist die Grundidee der Quantenfehlerkorrektur: Forschende kombinieren mehrere physikalische Qubits zu einem logischen Qubit und können so Fehler erkennen und ausmerzen. Dass der Fehler tatsächlich geringer wird, wenn man mehrere Qubits kombiniert, konnte zuvor noch niemand zeigen. Mit Willow war das möglich und das ist tatsächlich ein spannendes Ergebnis!
Mehr Details zu Willow von mir auf Heise.de (ohne Bezahlschranke)
Microsofts „Majorana 1“
Puh, wenn ich nur an Microsoft denke, bekomm ich direkt Stressatmung. Ich habe darüber neulich einen c’t-Artikel geschrieben, der fünf Seiten füllt. Ich versuche es, in wenigen Absätzen zusammenzufassen:
Das Team von Microsoft Azure Quantum hat im Februar seinen ersten Quantenchip vorgestellt: Majorana 1. Das hat nichts mit Majoran zutun (wie mich ein Kollege neulich fragte), sondern mit sogenannten Majorana-Zuständen. Microsoft hat seinen Chip nämlich nicht aus ollen supraleitenden Qubits gebaut, sondern (angeblich) aus sogenannten Majorana-Qubits, davon gleich acht. Diese nutzen topologische Effekte, um die Zustände 0 und 1 zu kodieren und sie sollen sehr viel robuster sein als andere Qubit-Architekturen.
Das Problem bei der Sache: Eigentlich weiß niemand, ob es diese topologischen Qubits in der Praxis tatsächlich gibt. Majorana-Zustände hat 1937 der italienische Physiker Ettore Majorana vorhergesagt. Die Idee, daraus Qubits zu bauen, kam 1997 vom russischen Physiker Alaxei Kitaev.

Ob Microsoft nun tatsächlich Majorana-Qubits erzeugt hat, kann – nett gesagt – niemand sagen. Unnett gesagt: Microsoft kann viel behaupten. Solang sie keine experimentellen Daten vorlegen, die das belegen, würde ich ihnen gar nichts glauben. Für meine Skepsis hab ich gleich mehrere Gründe:
- Die neueste Publikation der Microsoft-Forschenden sagt explizit, dass sie die Existenz der Majorana-Qubits nicht bewiesen haben. Die Pressemitteilung behauptet hingegen, sie hätten genau das getan.
- In der Vergangenheit mussten mehrere Publikationen mit Microsoft-Beteiligung zurückgezogen werden, in denen ähnliches behauptet wurde. Und wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…
- Experten sagen, dass eine frühere Microsoft-Publikation, die das technische Fundament für die neuste Arbeit liefert, nicht vertrauenswürdig ist. Die Geräte seien (ich paraphrasiere) Schrott.
Das alles war stark verkürzt, aber kurz gesagt behauptet Microsoft viel, ob das aber stimmt, wissen wir nicht. Falls das Team tatsächlich Majorana-Qubits erzeugt hat, wäre das super spannend! Doch ich warte noch etwas, bis ich den Champagner köpfe.
Mehr Details zu Majorana 1 und den Skandalen von mir auf Heise.de (Plus-Artikel)
Amazons „Ocelot“
No rest for the wicked. Nur wenige Tage nach Microsofts Ankündigung hat Amazon Web Services (AWS) seinen ersten Quantenchip rausgehauen. Auch dieser kommt mit blumigem Namen: Ocelot, nach der Raubkatze Ozelot. Der Grund dafür ist, dass Amazon mit sogenannten Katzen-Qubits arbeitet (die hatte ich kürzlich hier genauer erklärt). Von diesen Katzen-Qubits hat Amazon fünf hergestellt, die Basis sind supraleitende Schaltkreise, ganz ähnlich, wie Google sie benutzt.
Der Ansatz der Forschungsgruppe ist es, das Quantensystem in einen speziellen Zustand bringt, der von Natur aus robust gegenüber einer bestimmten Art von Fehler ist. Damit muss man nur noch eine zweite Sorte von Fehlern korrigieren – Quantenfehlerkorrektur ist damit einfacher und man braucht insgesamt weniger physikalische Qubits, um ein logisches Qubits zu konstruieren. Nur etwa eine Handvoll, statt Hunderte oder gar Tausende, so die Hoffnung.

Katzen-Qubits sind übrigens kein Marketing-Gag von Amazon, sondern Katzen-Zustände sind seit langem ein etabliertes Konzept in der Quantenphysik. Ich selbst habe in meiner Promotion daran gearbeitet, Katzenzustände zu erzeugen. Die Idee ist es, ein Quantensystem in eine Überlagerung zweier sehr verschiedener, quasi-klassischer Zustände zu bringen (so verschiedenen wie Leben und Tod, wie poetisch). Quasi-klassisch heißt, dass die 0 und die 1 (die „tote“ und „lebendige Katze“) bereits große Überlagerungszustände sind und nicht etwa nur zwei einzelne Zustände, wie bei den meisten anderen Qubits. Ein spannender Ansatz, der zeigt, dass es sich auch lohnen kann, andere Methoden zum Qubitbau auszuprobieren.
Mehr Details zu Ocelot von mir auf Heise.de (ohne Bezahlschranke)
Der chinesische „Zuchongzhi-3“
In die US-amerikanische Party konnte sich auch ein Chip aus China mischen. Zuchongzhi-3 heißt er und er wurde von der University of Science and Technology of China entwickelt. Dieser besteht aus 105 supraleitenden Qubits und erinnert damit stark an Googles Willow. Vermutlich nicht ganz zufällig, denn die Forschenden messen sich direkt am US-amerikanischen Konkurrenten.
Auch hier geht es wieder um Quantenüberlegenheit. Dieser Chip soll Sekunden für eine Aufgabe brauchen, für die der mächtigste Supercomputer 6,4 Milliarden Jahre brauchen würde. Damit soll er Probleme lösen, die sechs Größenordnungen (also Millionenfach) schwerer zu simulieren seien als Googles Experimente mit ihrem alten Sycamore-Chip mit 67 Qubits. Ja, dies ist die Krux: Zuchongzhi-3 überbietet Googles alten Chip.
Meine Vermutung, was passiert ist: Die chinesischen Forschenden haben ihre Experimente mit Zuchongzhi-3 irgendwann Mitte 2024 gemacht. Sie haben ihn mit Sycamore verglichen und gesehen: Toll, wir sind besser! Dann, am 9. Dezember 2024 veröffentlicht Google seine Ergebnisse und damit den weitaus besseren Chip Willow. Das chinesische Team denkt sich: Fuck! Sie schreiben zusammen, was sie haben, schmeißen es eine Woche später am 16. Dezember auf den Preprint-Server arXiv und im März erscheint die Forschung in Physical Review Letters (das vom Renommee her einige Stufen unter Nature liegt, wo Google veröffentlicht hat). Blöd gelaufen.

Wie verhält sich Zuchongzhi nun aber im Vergleich zu Willow? Zuchongzhi löst ein Problem, für das ein Supercomputer einige Milliarden Jahre brauchen würde; Willow löst eins, für das ein Supercomputer 10 Quadrillionen Jahre brauchen würde. Irgendwann verlieren solche absurden Zahlen an Bedeutung. Es scheint, dass Zuchongzhi eher auf schiere Rechenpower setzt, während Willow Fehlerkorrektur ausbaut. Das soll Zuchongzhi auch bald können, sagt das Team. Ein genauer Vergleich der beiden Chips steht aber noch aus.
Mehr zu Zuchongzhi-3 auf The Quantum Insider (englisch, nicht von mir).
D-Waves „Advantage2“
Auch D-Wave hat Mitte März einen neuen Fortschritt verkündet. Die Firma kam ursprünglich aus Kanada, hat ihren Hauptsitz nun aber in Kalifornien. D-Wave ist ein Sonderling in dieser Liste, denn genau genommen hat das Unternehmen keinen Quantencomputer, sondern einen Quantenannealer gebaut. Das ist eine spezielle Form des Quantensimulators, der ein ganz bestimmtes Problem nachahmt und besser lösen kann als ein klassischer Computer – so die Idee (mehr dazu hier).
Das Gerät von D-Wave heißt Advantage2 und es ist genau genommen nicht neu, sondern wurde bereits Anfang 2024 veröffentlicht. Die Maschine besitzt mehr als 1200 supraleitende Qubits, wobei das Wort „Qubit“ hier mit Vorsicht zu genießen ist. Es sind zwar Systeme mit zwei verschiedenen Zuständen, sie arbeiten aber nicht analog zu klassischen Computerbits. Die Forschenden führen keine Gatter (also logische Rechenoperationen) damit aus.

Was die Forschenden mit Advantage 2 gemacht haben, ist hingegen neu. Auch D-Wave verkündet, Quantenüberlegenheit erreicht zu haben. Anders als bei Google und Co. ist das Problem, dass es sich angeschaut hat, aber tatsächlich relevant!
D-Wave nutzt seine Qubits, um ein Festkörpersystem nachzuahmen. Statt sich einen großen Festkörper mit Billiarden von Atomen anzuschauen, baut er das System in klein nach und kann so die Eigenschaften des Stoffs untersuchen. In diesem Fall sind das die magnetischen Eigenschaften. Das ist nicht nur spannend, um Magnetismus besser zu verstehen und vielleicht neue Materialien zu entwickeln, sondern um viele Arten von Optimierungsproblemen zu lösen. Noch haben sie zwar nichts Relevantes aus ihren Simulationen gelernt – es ist eher ein modellhafter Test –, aber es ist immerhin denkbar.
Das einzige Problem: Ob der Quantenannealer tatsächlich klassischen Supercomputern überlegen ist, ist unklar. Zwei andere Forschungsgruppen haben nämlich kürzlich behauptet, Methoden entwickelt zu haben, mit denen auch klassische Computer das Problem lösen können. D-Wave sagt, das stimmt nicht, ihr simuliertes Problem sei viel komplexer als das der zwei anderen Gruppen.
Gehupft wie gesprungen, wenn ihr mich fragt. Ich find es spannend, wenn Quantenrechner relevante Probleme lösen können. Ob ein klassischer Computer dafür nun eine Million Jahre braucht oder ein paar Stunden: Erstmal sollten wir überhaupt sinnvolle Dinge mit Quantenrechnern anfangen können. Besser werden können wir immer noch.
Mehr Details zu D-Waves Advantage2 von mir auf Heise.de (ohne Bezahlschranke)
Europäische Alternativen

Europa schläft nicht, was Quantencomputer angeht, es schreit nur nicht so laut. Zum Beispiel hat die Universität Innsbruck gemeinsam mit kanadischen Forschenden eine Alternative zum Qubit-basierten Quantencomputing erforscht (wenn auch nicht erfunden) und damit ebenfalls physikalisch relevante Fragestellungen untersucht.
Statt Qubits mit zwei Zuständen haben sie Qudits mit mehreren Zuständen verwendet, hier zum Beispiel bis zu fünf (mehr zu Qudits findet ihr hier). Diese nutzen gefangene Ionen, die in Europa zum Beispiel recht aktiv erforscht werden. Solche Forschungsergebnisse kommen aber nicht mit blumig klingenden Quantenchips und glänzenden Pressefotos daher und neigen daher dazu, unterzugehen.
Mehr Details zum Quantencomputer aus Innsbruck und Waterloo von mir auf Heise.de (ohne Bezahlschranke)
Quo vadis, IBM?
Was ich mir bei der Aufstellung dieser Liste so dachte: Da fehlt doch jemand. Was treibt denn IBM eigentlich so?
IBM hat seinen aktuell leistungsfähigsten Quantenchip mit dem Namen Heron im Dezember 2023 vorgestellt. Auch der benutzt supraleitende Qubits und hat 133 davon. Das ist zwar der leistungsfähigste Chip von IBM, aber nicht der größte. Das ist Condor, mit 1121 Qubits, den IBM zur gleichen Zeit rausgebracht hat. Aber das ist nun fast anderthalb Jahre her.

Laut seiner Roadmap plant das Unternehmen noch dieses Jahr seinen neuen Chip „Flamingo“ mit 156 Qubits rausbringen. Das könnte nun also jeden Tag passieren! IBM rennt nicht länger riesigen Qubitzahlen hinterher, wie es mit seinem Heron-Chip bereits bewiesen hat. Stattdessen fokussiert sich das Unternehmen auf qualitativ hochwertigere Chips und Quantengatter (also Rechenoperationen).
Insbesondere verfolgt IBM zwei Stoßrichtungen. Zum einen will IBM mehrere Chips zu größeren Quantencomputern koppeln, statt einen riesigen Chip zu entwickeln. Das IBM Quantum System Two enthält drei Heron Chips, die miteinander verbunden sind – Modularität ist das Stichwort!
Außerdem setzt IBM auf „quantum-centric supercomputing“. Das ist eine Mischung aus Quanten- und Hochleistungscomputing. Die Grundidee dabei ist es, dass jeder Computer die Aufgaben erledigt, für die er am besten geeignet ist. The best of both worlds. Die Idee hat IBM nicht erfunden. Wissenschaftler:innen am Leibniz-Rechenzentrum in Garching bei München haben das Prinzip letztes Jahr erstmals erfolgreich mit einem IQM-Quantencomputer demonstriert (nicht verwechseln: IQM ist ein deutsch-finnische Start-up für Quantencomputer). IBM ist aber eines der wenigen (wenn nicht gar das einzige) Big-Tech-Unternehmen, das bereits jetzt einen Fokus auf diese Strategie legt und noch in diesem Jahr erste Erfolge vorzeigen will.
Mehr zu IBMs Roadmap auf The Quantum Insider (englisch, nicht von mir).
Es ist viel los in der Quantenwelt! Ich hoffe, dieser Querschnitt durch den aktuellen Nachrichtenwust konnte euch einen Überblick verschaffen. Jeder einzelne Chip könnte einen ganzen Artikel füllen – und in den meisten Fällen tun sie das auch. Deshalb hab ich für alle, die mehr wissen wollen, weiterführende Artikel verlinkt. Beachtet, dass ich an einigen Stellen meine eigene Meinung eingebaut habe – ich hoffe immer deutlich erkennbar.
Außerdem habe ich in diesem Post viele Themen angeschnitten, über die ich bisher nur wenig geschrieben habe: Quantenüberlegenheit, Quantenfehlerkorrektur, Quantenannealer und mehr. Mehr Details hätten an dieser Stelle ebenfalls den Rahmen gesprengt. Falls ihr zu bestimmten Themen mehr wissen wollt, lasst es mich wissen!
Gefällt dir, was du liest? Vielleicht interessiert dich dann auch mein Überblicksartikel zu Quantencomputern. Wenn du keinen Beitrag mehr verpassen willst, abonnier meinen Blog. Wenn du möchtest, kannst du mir auch hier einen Kaffee spendieren!
PS: Leider hat mein Laptop vor kurzem den Geist aufgegeben. Also der Laptop, mit dem ich üblicherweise meine Zeichnungen mache. Deshalb ist dieser Artikel etwas nackter und voller Pressefotos und ohne süße Photonen. Ein neuer Laptop ist in Arbeit und ich hoffe, bald wieder Physicus-Minimus-typische Bilder zeichnen zu können!

hi
Ich hoffe, beim nächsten Rechner wird die automatische Backup-Funktion wieder aktiviert. So schade, wenn Grafiken oder Texte wegen Computerfehler einfach im digitalen Nirvana verschwinden!
Und wo war nochmal der Beitrag, in dem Du erklärst, wie es überhaupt beim Quantencomputing zu Fehlern kommt?
Danke sehr!
Schöne Grüße
Enno
Verloren gegangen ist zum Glück nichts!
Im Detail habe ich Fehlerkorrektur nicht erklärt, ich gehe jedoch in meinem FAQ: Quantencomputer drauf ein: https://physicus-minimus.com/faq-quantencomputer/
Viele Grüße!