Der Welle-Teilchen-Dualismus ist ein Kernkonzept der Quantenphysik und beinahe so bekannt wie Schrödingers Katze. Aber der Weg dorthin war weit. Hielt man Licht bis ins 19. Jahrhundert hinein noch für eine Welle, zerrte die neu entdeckte Quantenphysik Anfang des 20. Jahrhunderts am Weltbild aller Physiker:innen. Licht: Welle, Teilchen, was denn nun? Bis sich aber eine Lösung durchgesetzt hatte, vergingen viele Jahre und einige verrückte Theorien. Eine davon will ich euch heute vorstellen: Einsteins Gespensterfelder.
Ein kurzer Rückblick: Die gesamte Quantentheorie wurde im Grunde losgetreten von der Frage: Was ist Licht? Um 1900 herum warfen Max Planck und Albert Einstein Theorien in den Raum, dass Licht aus Teilchen bestehen könnte. Erstmals konnten sie mit dieser Annahme bis dahin unverstandene Experimente erklären. Gleichzeitig gab es aber eine Reihe von Experimenten, die man nur mithilfe eines Wellenbildes des Lichts erklären konnte.

Im Zentrum des Dilemmas standen vor allem zwei Experimente. Das Doppelspaltexperiment, das eindeutig die Wellennatur des Lichts zu zeigen scheint, und der Compton-Effekt, der zu beweisen schien, dass Licht aus Teilchen besteht (beide beschreibe ich ausführlich in meinem ersten Artikel zum Welle-Teilchen-Dualismus). Beide Theorien hatten ihre Anhänger. Niels Bohr etwa hing am Wellenbild, Einstein war anfangs eher Team Teilchen. Schließlich hatte er die Lichtquantenhypothese aufgestellt.
Bohr meinte, das Streifenmuster beim Doppelspaltversuch sei schlichtweg nicht mit einem Teilchenbild vereinbar. Wie könne Einstein das mit Teilchen erklären? Der Compton-Effekt hingegen ließ sich nicht mit dem Wellenbild erklären. Bohr war also ebenso im Zugzwang.
Teilchen, die auf Wellen reiten
Es ist kein Geheimnis, dass Einstein selbst mit seiner Lichtquantenhypothese haderte. Anfangs nannte er sie noch „in Raumpunkten lokalisierte Energiequanten“. Mit der Zeit nahm aber auch er immer häufiger auch das Wort „Teilchen“ in den Mund. Es beschäftige ihn jedoch arg, eine Erklärung für die scheinbare Unvereinbarkeit der beiden Experimente zu finden.
So kam er um 1923 zu einer Idee, die zwar Welle und Teilchen vereinen sollte, aber nicht so weit ging wie der Welle-Teilchen-Dualismus. Seine Idee: Es gibt eine Lichtwelle, die die Lichtquanten trägt. Diese Lichtwelle agiert als Führungsfeld, oder auch „Gespensterfeld“, und sie lenkt den Weg der Lichtquanten. Dass Einstein bisweilen zu mystischem Vokabular neigte, wissen wir spätestens seit seiner „spukhaften Fernwirkung“ und seinen Gedanken zu würfelnden Göttern.

Das Gespensterfeld verhält sich wie eine übliche Welle: Es schwingt, beugt sich um Kanten herum und interferiert. Anders als übliche Wellen überträgt es aber keine Energie. Das kann man sich wie eine elektromagnetische Welle mit verschwindend kleiner Amplitude vorstellen, eine fast unsichtbare Wasserwelle. Deshalb Einsteins Ausdruck: Gespensterfeld. Die Lichtquanten hingegen reiten auf den Führungswellen und tragen die Energie durch den Raum.
Das Doppelspaltexperiment mit Gespensterfeldern
Diese Theorie kann das Doppelspaltexperiment erklären. Licht trifft Photon für Photon auf dem Schirm auf, das Gespensterfeld verursacht aber bei jedem einzelnen Lichtteilchen eine Interferenz. Wo genau das Photon auftrifft, ist dann eine Sache von Wahrscheinlichkeiten und Statistik. Das Streifenmuster entsteht also auch, wenn man das Experiment mit einzelnen Photonen ganz oft wiederholt. Zwar war so ein Experiment damals noch nicht möglich, doch später sollte sich zeigen, dass genau das passiert.
Hatte Einstein also recht? So lala. Er selbst war nicht sehr zufrieden mit seiner Theorie, weil sie einige Annahmen enthält, die man nicht überprüfen kann. Nur wenig später versuchte Einstein, die Gespenster, die er rief, wieder zu verscheuchen und die Wellentheorie des Lichts zu widerlegen.
Von Wellen und Teilchen zur Wellenfunktion
Die Lösung kündigte sich 1926 an, als Erwin Schrödinger seine berühmte Schrödingergleichung formulierte. Die Schrödingergleichung ist eine Wellengleichung, die beschreibt, wie sich Quantenobjekte mit der Zeit verändern. Schlüsselelement dieser Gleichung ist die Wellenfunktion ψ („Psi“). Sie beschreibt Quantenobjekte und breitet sich, wie der Name vermuten lässt, wie eine Welle aus.
Übrigens: Hier versteckt sich die Auflösung des Welle-Teilchen-Dualismus. Licht ist weder eine klassische Welle noch ein klassisches Teilchen, sondern immer eine Wellenfunktion. Wenn man das Licht beobachtet („misst“), bricht die Wellenfunktion zusammen und übrig bleibt ein Teilchen-artiges Messsignal. Auf dem Weg durch den Doppelspalt bestimmt die Wellenfunktion das Verhalten, am Beobachtungsschirm trifft sie wie ein Teilchen auf. Gleiches gilt für andere Quantenobjekte, zum Beispiel Elektronen.
Was genau dieses mysteriöse ψ aber eigentlich ist, weiß niemand – bis heute. Was wir aber wissen ist, dass das Quadrat von ψ verrät, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein Teilchen – sei es Photon oder Elektron – an einem bestimmten Ort aufhält. ψ wird deshalb manchmal auch „Wahrscheinlichkeitswelle“ genannt. Max Born plädiert deshalb darauf, den Determinismus in der atomaren Welt aufzugeben. Wie wir es dann auch getan haben.

Schrödinger selbst fand diese Interpretation grauenhaft. Er hofft darauf, dass sich hinter der Wellenfunktion etwas Reales, Greifbares versteckt. Und auch Einstein war nicht zufrieden. Er glaubte nicht, dass dies „der wahre Jacob“ sei. „Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt.“ Nun wisst ihr auch, woher dieses Zitat stammt!
Eine Frage der Interpretation
Ab diesem Punkt geht es viel um Philosophie: Was ist die Wellenfunktion? Wie erklärt man ihren Kollaps zu Teilchen bei einer Messung? Ist der Determinismus tatsächlich dahin? Es gibt viele Interpretationen der Quantenphysik, die bekannteste ist die Kopenhagener Deutung: ψ ist eine Hilfsgröße, ihr Quadrat gibt die Wahrscheinlichkeit – sei zufrieden damit und frag nicht weiter. Sie wurde vor allem geprägt von Bohr und Heisenberg und sie gilt bis heute als der Standard in der Quantenphysik.
Die Idee der Führungswelle entwickelte sich in den 1950ern jedoch weiter und Louis-Victor de Broglie und David Bohm entwickelten ihre eigene Interpretation der Quantenphysik: die De-Broglie-Bohm-Theorie oder auch bohmsche Mechanik oder Pilotwellen-Theorie genannt. Auch John Steward Bell, Entwickler der Bellschen Ungleichung, gehörte zu den Anhängern dieser Theorie.
Die De-Broglie-Bohm-Theorie
Die Grundidee der De-Broglie-Bohm-Theorie ist ebenfalls ein Dualismus aus Welle und Teilchen. Zu jedem Teilchen gehört eine Wellenfunktion und eine Trajektorie, also ein Pfad, der beschreibt, wo das Teilchen lang fliegt – wie bei einem Ball. Dieser Pfad ist aber verborgen – wir können ihn also nicht messen. Die Wellenfunktion, auf der anderen Seite, führt die Bewegung der Teilchen. Das klingt doch ganz stark nach Gespensterfeldern!

Der Unterschied zur Kopenhagener Deutung: Die Bahnkurve der Teilchen ist kontinuierlich und deterministisch. Das heißt: Theoretisch könnte ich eine Linie zeichnen, die den Pfad des Elektrons exakt beschreibt. Das ist anders als in der gängigen Interpretation der Quantenphysik, da ist das Elektron verschmiert, sein Ort ist unbestimmt, es kann an vielen verschiedenen Orten gleichzeitig sein.
Ich sage „theoretisch“, denn die Krux an der De-Broglie-Bohm-Theorie: Ich kenne den Pfad nur, wenn ich genau weiß, wo mein Teilchen ganz am Anfang ist. Das weiß ich aber nicht. Stattdessen ist der Ort durch eine Quantengleichgewichtsverteilung gegeben und diese passt genau zur Wellenfunktion zum Anfangszeitpunkt. So passen beide Theorien wieder hervorragend zusammen.
Schrödingers Cat Resolved
Diese Theorie löst so einige Probleme der Quantenmechanik. Das Messproblem (also die Frage, an welchem Ort ich mein Teilchen messe, wenn die Position doch verschmiert ist) wird gelöst, beziehungsweise tritt gar nicht erst auf, weil der Pfad des Teilchens ohnehin deterministisch ist. Die Beobachtung spielt hier keine Rolle, in der herkömmlichen Interpretation ist das hingegen ein großes Ding („Ist der Mond auch da, wenn niemand hinguckt?“ – In der De-Broglie-Bohm-Theorie auf jeden Fall!). Somit ist auch Schrödingers Katze kein Zombie mehr: Zu jeder Zeit ist absolut klar, ob die Katze tot ist oder lebendig.

Trotz allem ist die De-Broglie-Bohm-Theorie nicht sonderlich populär. Warum, kann ich auch nicht genau sagen. Vermutlich kam sie einfach zu spät. Die Kopenhagener Deutung stellten Bohr und Heisenberg bereits 1927 auf, die De-Broglie-Bohm-Theorie kam erst 1952. Die Viele-Welten-Theorie kam zwar erst kurz danach auf, 1957, sie war aber einfach sehr flashy.
Wie bei jeder Interpretation der Quantenphysik – sei es Kopenhagener Deutung oder die Viele-Welten-Theorie – gibt es auch hier keine Möglichkeit zu sagen, welche Interpretation die richtige ist. In Experimenten führen sie alle zum gleichen Ergebnis. Ob Kollaps der Wellenfunktion, multiple Universen oder Gespensterfelder – in der Quantenphysik kann sich jeder seine liebste Phantasiewelt aussuchen!
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Quelle
Quantenlicht: Thomas de Padova, Quantenlicht, Das Jahrzehnt der Physik 1919 – 1929, Hanser, 2024