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Lord Schnurrdemort: Sieben Leben für Schrödingers Katze

Die Menschheit ist geradezu besessen von Schrödinger Katze. Sie ist Paradebeispiel für die Merkwürdigkeit der Quantenphysik, ein etablierter Running Gag in Filmen und Serien, und beliebtes Motiv für T-Shirts und Memes. Auch Physiker:innen können Schrödingers Katze nicht ruhen lassen. Während sie ihren Anfang nahm als mentale Fingerübung, finden Forschende heutzutage immer neue Wege, sie in echten Experimenten heraufzubeschwören. Der neuste Clou: Ein Forschungsteam will es nun geschafft haben, Schrödingers Katze zwar nicht neun, aber immerhin doch sieben Leben zu schenken. Also genau wie Lord Voldemort.


In seinem ursprünglichen Gedankenexperiment sperrt Schrödinger eine Katze gemeinsam mit einem Atom und einer Giftflasche in eine Kiste. Zerfällt das Atom, zerbricht ein Mechanismus die Giftflasche und tötet die Katze. Zerfällt das Atom nicht, überlebt sie. Gedacht war dies nicht als makabrer Partygag, sondern Schrödinger wollte darauf aufmerksam machen, dass die Regeln der Quantenphysik einige sehr merkwürdige Schlussfolgerungen erlauben. Wenn ein Atom zerfallen und nicht-zerfallen gleichzeitig sein kann, warum nicht auch eine Katze? Da uns im Alltag eher selten Zombikatzen über den Weg laufen, muss es irgendwo einen Denkfehler geben. Wie dieser aufgeklärt wird, habe ich hier genauer erklärt.

Zwar haben Physiker:innen es bis heute nicht geschafft, eine Katze in solch einen Zombie-Zustand zu versetzen, doch sie haben definitiv ihr Bestes versucht, dem so nah wie möglich zu kommen: Atome, Moleküle, sogar Bärtierchen sind nicht mehr sicher. In der Praxis sind solche Schrödingers-Katze-Zustände zum Glück weniger brutal als im Gedankenexperiment – Gift kommt keins zum Einsatz. Das ist übrigens kein Witz, die heißen wirklich so: Schrödingers-Katze-Zustand, oder kurz Katzenzustand, ist ein physikalischer Fachbegriff!

Tote und lebendige Katzen

Schrödingers Katze ist tot und lebendig gleichzeitig. Ein Katzenzustand ist eine Überlagerung zweier sehr unterschiedlicher oder im Idealfall sogar gegensätzlicher Zustände. Stellt euch ein Qubit vor: Ein Quantensystem, das exakt zwei verschiedene Zustände annehmen kann, üblicherweise nennen wir die 0 und 1. Diese zwei sind gegensätzlich, ihre Überlagerung geht also schon in die richtige Richtung.

Katzen-Zustand mit Wellenfunktion
Katzenzustände sind Überlagerungen zweier extremer Zustände, wie in Schrödingers Gedankenexperiment. Bild: Tony Melov

Der Knackpunkt von Schrödinger Katze ist aber, dass ein makroskopisches, also sehr großes System in so einer extremen Superposition ist. Um etwas Katzenzustand zu nennen, muss es also GRÖSSER sein als ein Qubit. Fügen wir also einen Zustand hinzu. Das nennen wir dann nicht mehr Qubit, sondern Qutrit. Aber das ist uns noch nicht groß genug. Wir wollen mehr! Vier Zustände! Ein Qu…quad? Und dann? Ququint? Ähm, Qusext?

Nein, das ist uns zu kompliziert. Physiker:innen sind nicht gerade für ihre Namenskreativität bekannt (man schau sich nur mal das ULTRAHOCHVAKUUM an, das vermutlich nur getoppt werden kann vom SUPERDUPERHUIUIUIVAKUUM). Deshalb nennen wir ein System mit mehr als drei Zuständen schlicht: Qudit. Das d steht für d Dimensionen.

Warum Qudits?

Qudits sind im Prinzip ein anderer Ansatz, um einen Quantencomputer zu bauen. Ein Qubit kann zwei verschiedene Zustände annehmen: 0 und 1. Das klingt erstmal nicht viel, aber die Magie von Quantencomputern entsteht, wenn mehrere Qubits zusammenkommen. Zwei Qubits können zusammen vier verschiedene Zustände annehmen: 00, 01, 10 und 11. Drei Qubits acht, vier Qubits 16, und so weiter: N Qubits können 2N verschiedene Zustände annehmen – und zwar gleichzeitig.

Mehr Zustände bekommt man aber nicht nur mit mehr Qubits, sondern auch eben auch mit Qudits. Ein Qudit mit vier Zuständen ist äquivalent zu zwei gekoppelten Qubits – beide haben vier Zustände. Manchmal kann es besser sein, ein Quantensystem mit vier Zuständen zu händeln als zwei Qubits. Manchmal ist es andersherum.

Qudits als etwas Revolutionäres zu bezeichnen, hätte aber eine gewisse Ironie, wenn ihr mich fragt. Es ist nicht so, dass Qubits – also Quantensysteme mit zwei Zuständen – vom Himmel fallen. Die allermeisten Quantensysteme haben mehr als zwei Zustände. In der Regel ist es eine Heidenarbeit, zwei Zustände in einem System zu identifizieren, die gut genug vom Rest isoliert sind, um sie guten Gewissens als Zwei-Niveau-System zu bezeichnen. Ein Qudit nimmt diese anderen Zustände schlichtweg mit.

Eine Katze im Atomkern

Um Schrödingers Katze sieben Leben zu verleihen, haben sich Forschende der University of New South Wales im australischen Sydney neulich ein Qudit mit acht Zuständen angeschaut. Ein Acht-Niveau-System ist sehr ähnlich zu drei gekoppelten Qubits (23 = 8). Solch ein Quoctit (das ist kein Fachbegriff, sondern meine Kreation ✨) haben die Forschenden in einem Atomkern gefunden, genauer gesagt den Kern von Antimon. Antimon ist ein silbriges, seltenes Metall – und giftig. Es ähnelt Arsen und wurde offenbar im Alten Ägypten und Rom als Heilmittel verwendet. Wohl bekommt‘s!

In diesem Experiment hat aber niemand Antimon-Cocktails getrunken (soweit ich weiß). Das Atom saß vielmehr sauber verpackt in einem Käfig, damit die Forschenden es sauber und präzise kontrollieren konnten: in einem Siliziumchip. Also die Chips, die auch in Computern und Smartphones stecken. Forschende lieben die, denn die Industrie weiß genau, wie man sie herstellt und das macht es sehr viel einfacher, Experimente eines Tages aus dem Labor heraus und in ein Produkt zu bekommen.

Der Kern von Antimon hat einen Spin von 7/2 und kann deshalb acht verschiedene Werte annehmen – statt nur zwei, wie zum Beispiel Elektronen (mehr zum Kernspin in diesem Artikel). Mit anderen Worten kann der Spin in acht verschiedene Richtungen zeigen und jede Richtung hat eine andere Energie. Stellt euch eine merkwürdige, unregelmäßige Leiter mit acht Sprossen vor. Der Abstand zwischen den ersten beiden Sprossen ist am größten, der Abstand zur nächsten Sprosse ist etwas kleiner, der nächste wieder etwas kleiner und so weiter. So sehen die Energieniveaus dieses Antimon-Atomkerns aus.

Das Spannende war nun, dass die Wissenschaftler:innen den Antimon-Kernen in einen Katzenzustand gebracht haben: Sie haben den obersten und den untersten Zustand der Leiter miteinander überlagert. Das ist so, als würde auf der obersten Sprosse eine tote Katze sitzen und auf der untersten eine lebendige. Das ist keine einfache Superposition zwischen „oben“ und „unten“ mehr, wie man es von Qubits kennts. Denn die beiden Teile der Superposition sind durch mehrere Zustände voneinander getrennt – die tote und die lebendige Katze haben quasi einen Sicherheitsabstand.

Mit Katzen Fehler korrigieren

Nun wollen wir unserer Katze Tricks beibringen! Das Problem mit herkömmlichen Qubits ist, dass sie oft Fehler machen. Ist ein Qubit im Zustand 1, kann es passieren, dass es zufällig zur 0 umflippt oder umgekehrt. Die gespeicherte Information ist dann dahin. Das ist eines der großen Probleme des Quantencomputing.

Die Lösung, auf die Quantenphysiker:innen setzen, heißt Fehlerkorrektur. Wenn wir das Umflippen detektieren könnten, könnten wir es rückgängig machen und den Fehler so korrigieren. Nur wie ist die Frage.

Hier kommt die Katze ins Spiel. Sagen wir die tote Katze entspricht der 0 und die lebendige Katze der 1. Bemerke: Obwohl wir mit Qudits arbeiten, ist unsere Quanteninformation immer noch binär – wir haben eine 1 und eine 0, keine 2, 3, 4, 5, 6 und 7. Da all diese Zustände aber zwischen meinen Katzen liegen, reicht ein einziger Fehler nicht aus, die Information komplett kaputtzumachen.

Das Sprichwort sagt: Eine Katze hat neun Leben. Diese Katze hat sieben. Es reicht also nicht, einen Horkrux zu zerstören, um Lord Schnurrdemort umzubringen. Wir müssten schon alle sieben vernichten, um ihn zu töten. Genau das wollen die Forschenden aber verhindern (ja sie sind in dieser Analogie die Bösen, denn sie wollen Lord Schnurrdemort am Leben erhalten). Sobald ein Fehler passiert, merken sie das und können ihn schnell korrigieren.

Quantenfehlerkorrektur gilt als der Heilige Gral des Quantencomputing. Viele Expert:innen vermuten, dass wir nur so tatsächlich eines Tages leistungsfähige Quantencomputer bauen können. Und Lord Schnurrdemort könnte uns den Weg weisen.


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1 thoughts on “Lord Schnurrdemort: Sieben Leben für Schrödingers Katze

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