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Vom Physicus Minimus zum Physicus Maximus

Facebook hat mich diese Woche mit einer Erinnerung überrascht: Vor sieben Jahren habe ich meine Bachelorarbeit eingereicht. Sieben Jahre – die Zeit rennt! Und fast genau sieben Jahre später werde ich meine Doktorarbeit abgeben, ich bin grade im absoluten Endspurt (drückt mir die Daumen). Ich dachte mir, das ist doch die perfekte Gelegenheit für einen kleinen Rückblick: Was hat sich in den letzten sieben Jahren geändert? Wie war der Weg vom Bachelor, durch den Master, in die Promotion, (fast) bis zum Doktortitel? Bin ich jetzt wirklich klüger als vor sieben Jahren?

Level 1: Bachelor

Ich erinnere mich noch ganz genau an mein erstes Semester. Grade ganz frisch an der Uni, völlig aufgeregt, ich konnte es kaum erwarten mich durch die Vorlesungen zu ackern. Und das noch ganze drei Jahre lang, wow, so eine lange Zeit! Als Arbeiterkind (wie man so schön sagt) hatte ich keine Ahnung, wie studieren überhaupt funktioniert und ich bin so ins erste Semester reingestolpert. Physik hat allerdings den Vorteil (für mich als ahnungslose Studentin zumindest), dass es ziemlich genau durchstrukturiert ist. Es gibt einen recht fixen Stundenplan und erst im dritten Semester muss/darf man sich das erste Mal entscheiden. Bis dahin hatte ich studieren so ungefähr verstanden und man konnte nicht mehr viel falsch machen. Aber frei Vorlesungen aussuchen war aufregend. Das erste Labor-Praktikum war aufregend. Erste Vorträge geben war aufregend. Das erste Mal selbst Übungsgruppen leiten war aufregend. Kurz gesagt: Alles war aufregend!

Die Krönung war dann die Bachelorarbeit. Das erste Mal echte, wissenschaftliche Veröffentlichen lesen, auf Englisch! Mit Doktoranden (ich würde gern „Doktorand*innen“ schreiben, doch leider gab es keine Doktorandinnen in unserer Gruppe) über Forschung reden. Selbst Sachen programmieren und Gleichungen lösen, die vorher noch niemand gelöst hat. Neue Forschung machen, nicht nur stupide Lehrbuch-Aufgaben lösen. Mit den „coolen Kids“ an einem Tisch in der Mensa sitzen. Zu einer Forschungsgruppe dazugehören. Einen Büroplatz haben und entsprechend ohne Rucksack durch die Uni laufen, weil man ja ein Büro hat, in dem man seine Sachen lassen kann. Wenn man mich so reden hört klinge ich vermutlich wie eine ziemliche Streberin, aber ganz ehrlich, was erwartet ihr von jemandem, der in seiner Freizeit einen Physik-Blog startet? Am Ende meiner Bachelorarbeit war ich super stolz auf die Ergebnisse. Ganze 51 Seiten hatte ich geschrieben, voll mit neuer Forschung, neuer Physik!

Heute, mit sieben Jahren Abstand, finde ich meine Bachelorarbeit tatsächlich immer noch gar nicht so übel. Viele Kommilitonen (wieder, leider keine Kommilitoninnen) lachen heute über ihre Bachelorarbeit, schämen sich vielleicht sogar dafür. Klar, das Niveau – sowohl physikalisch als auch sprachlich und technisch (Qualität der Abbildungen etc) – ist deutlich niedriger, als das, was ich jetzt in meiner Doktorarbeit fabriziere. Aber trotzdem: gemessen an der Zeit, die ich für meine Bachelorarbeit aufgewandt habe (gute drei bis vier Monate Vollzeit) bin ich ein kleines bisschen beeindruckt von meinem damaligen Ich. Tatsächlich habe ich mein Bachelorthema wieder aufgegriffen. Es ist nun in weiterentwickelter Form Teil meiner Doktorarbeit und wurde in einem Fachjournal veröffentlicht.

Level 2: Master

Nach dem Bachelor stand es für mich außer Frage, ob ich den Master mache oder nicht. Ich hab nicht einmal drüber nachgedacht. In der Physik ist es absoluter Standard den Master zu machen. Tatsächlich wusste ich bereits im Bachelor, dass ich meinen Doktor machen will. Warum genau konnte ich damals vermutlich nicht sagen. Aber ich fand studieren toll, mich mit dem zu beschäftigen, was ich spannend finde, und ich wollte es „bis zum Schluss“ weiter machen.

Im Master war alles etwas weniger aufregend. Während ich im Bachelor noch stolz meine Semester gezählt habe musste ich im Master schon stark überlegen, wie lange ich das ganze jetzt schon mache (fragt mich gar nicht erst in welchem Semester ich grade bin… irgendwas um die 20 vermutlich, keine Ahnung). Erst hatten wir zwei Semester Vorlesungen, dann zwei Semester Forschung: die Masterarbeit! Da habe ich dann das erste Mal völlig frei und ohne tägliche Anleitung gearbeitet. In der Bachelorarbeit hatte ich noch einen Betreuer an der Hand, der mir recht genau gesagt hat, was ich zutun habe. In der Masterarbeit war das nicht mehr so. Ich habe mir selbst überlegt, was ich am besten als nächstes tue, ich war auf meinen ersten Konferenzen, habe meine Forschung vorgestellt, habe mit Experimentatoren diskutiert, sie in Paris besucht und gelernt, was es heißt, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Wieder: Spannend, spannend, spannend!

Das Schreiben meiner Masterarbeit war dann die erste harte Stressprobe (nicht, dass das Studium nicht auch stressig war, aber das war eine andere Art von Stress). Ich hatte meine Bachelorarbeit in einer Woche runtergeschrieben (ich kann mir heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen, wie ich das gemacht habe). Da dachte ich: Naja, Masterarbeit ist länger, sagen wir mal einen Monat. Am Ende waren es zwei. Ich hab kurz vor der Deadline abgegeben und bestand im Grunde nurnoch aus Stress und Koffein. Manche Leute geben prinzipiell immer kurz vor knapp ab, aber ich bin eigentlich nicht so. Am Ende waren es 99 Seiten (meine Professorin sagte, ich soll unter 100 bleiben: Mission Accomplished!) + 14 Seiten Anhang, noch dazu auf Englisch.

Level 3: Promotion

Der Übergang vom Master zur Promotion war noch ereignisloser als der vom Bachelor zum Master. Ich mochte meine Forschung, ich wollte meine Ergebnisse im echten Experiment sehen, und dafür musste (und wollte) ich in der gleichen Gruppe weitermachen. Man sagt in der Forschung, man solle möglichst viel rumkommen, am besten spätestens nach der Masterarbeit die Uni wechseln, um später möglichst gute Chancen zu haben. Das war mir in dem Moment aber egal. Ich mochte die Stadt, die Uni, die Arbeitsgruppe, das Thema – ich sah absolut keinen Grund, irgendwo anders hinzugehen. Noch dazu hat mir meine Professorin direkt eine Promotionsstelle angeboten.

Wie schon im Master hab ich nie auch nur in Erwägung gezogen nicht weiterzumachen. Im Gespräch mit anderen ist mir aufgefallen, dass das absolut nicht selbstverständlich ist. Vielen ist die Entscheidung schwer gefallen und viele haben sich dagegen entschieden, sind stattdessen in die Industrie oder Wirtschaft gewechselt, wo man schlichtweg sehr viel mehr Geld verdienen kann, als an der Uni. Viele haben sich schwer mit der Entscheidung getan, wo sie promovieren wollen. Welche Uni, welches Thema, wie erfolgsversprechend ist das, wie bringt es mich in meiner Karriere weiter? Ich hingegeben hab gemacht, wozu ich am meisten Lust hatte – nämlich das, was ich schon seit meinem Bachelor gemacht hatte. War das eine gute Entscheidung? Keine Ahnung, ich bin glücklich mit der Entscheidung, ob es mich später negativ beeinflusst werde ich noch sehen.

In der Promotion habe ich im Prinzip genau das gleiche gemacht, wie in meinem zweiten Masterjahr. Selbstständige Forschung. Es gab eine kurze Zeit, wo ich es aufregend fand zu sagen, ich sei jetzt Doktorandin. Ich wurde jetzt fürs Forschen bezahlt! Das legte sich aber ziemlich schnell wieder. Während im Bachelor alles neu und aufregend war, rutsche ich in die Promotion irgendwie so rein. Ich gab erste Vorträge auf Konferenzen, später kamen die ersten eingeladene Vorträge (Veranstalter sind also auf mich, mich!, zugekommen und haben mich eingeladen, einen Votrag zu halten!), habe erste Vorlesungen vor Bachelorstudierenden vertreten, bin ans andere Ende der Welt geflogen um Konferenzen zu besuchen, habe einen Sommer in Paris gelebt und selbst Bachelorstudenten bei ihrer Arbeit betreut. Das alles klingt aufregender als die Erlebnisse einer Bachelorandin, aber irgendwie habe ich das alles viel natürlicher hingenommen – ich hatte mich dran gewöhnt, der Glanz des neuen ist irgendwann verschwunden.

Die Ernüchterung

Etwa die ersten drei Jahre meiner Promotion bin ich täglich glücklich ins Büro gegangen. Klar gab es Ausnahmen; schwierige Phasen, wo der Code nicht funktionieren und Daten einfach keinen Sinn ergeben wollten. Aber im Schnitt hatte ich ziemlich viel Spaß an meiner Arbeit. Dann ging es langsam bergab. Nach etwa dreieinhalb Jahren – als meine ersten Projekte abgeschlossen waren – ging es plötzlich ziemlich schleppend voran. Irgendwie wusste ich nicht mehr, wohin es geht, was ich da tue, nichts schien mehr so richtig zu funktionieren. Ich hatte das Gefühl nichts mehr so richtig zu verstehen. Wenn ich mich so umhöre denke ich, dass es vielen genauso geht – irgendwann gen Ende überfällt einen die Promotionsmüdigkeit. Man fühlt sich dümmer als je zuvor, überfordert mit allem, man will eigentlich nur noch fertig werden und mit jedem Tag, der vergeht, wird man panischer, ob man jemals fertig wird. Jap, das ist in Moment mein Leben.

Das Ende ist in Sicht. Ich werde ziemlich sicher sehr bald fertig, aber jeder Tag fühlt sich momentan an wie eine unüberwindbare Hürde. Ich brauche Urlaub, ich will einfach nur fertig werden, um endlich wieder an etwas anderes zu denken, als meine Doktorarbeit.

Wie genau es damit gelaufen ist werdet ihr höchstwahrscheinlich nächsten Monat lesen, in meinem Blogpost zur Doktorarbeit. Wünscht mir Glück (und schickt Kaffee!)


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