Es war die letzten Monate leider etwas still auf meinem Blog, doch endlich habe ich eine gute Nachricht: Meine Doktorarbeit ist fertig! Yippie yay, es ist vollbracht! Heute will ich den Prozess mit euch Revue passieren lassen, von meinen Erfahrungen erzählen, ein bisschen über den Tellerrand hinausschauen und erzählen, warum es noch nicht vorbei ist.
Ich bin Physikerin und mag Zahlen, Statistiken und Diagramme. Mit acht Jahren habe ich bereits penibel die Maße meines Kaninchens dokumentiert, vom Gewicht bis zur Länge seiner Ohren. Deshalb bereitet euch auf eine ausführliche und etwas ungewöhnliche Betrachtung meiner Doktorarbeit vor!
705g wiegt das gebundene Prachtstück. Damit ist es sehr viel leichter als ein Neugeborenes (wenn es auch lustigerweise ebenfalls neun Monate dauerte, sie auf die Welt zu bringen) und eher so schwer wie ein Zwergkaninchen. 1,2cm ist sie dick und gedruckt im A4 Format. Das macht also 750mL Forschung. Etwa drei Tassen Kaffee (mein Tagesbedarf beim Schreiben) oder das durchschnittliche Volumen eines menschlichen Atemzugs. Poetisch.
Etwas konservativer ist die Angabe in Seitenzahlen: 237 sind es geworden, 188 Seiten Haupttext, der Rest ist Deckblatt, Anhang, Literaturverzeichnis, usw. Das entspricht circa 480 Seiten eines normal gebundenen Buches (weil kleineres Format) – so viel wie der dritte Harry Potter Band! Ein treffender Vergleich finde ich. Die Doktorarbeit ist schließlich auch Band Drei meiner wissenschaftlichen Karriere, nach der Bachelor- und Masterarbeit. Und Quantenphysik ist ja auch nur eine sehr mathematische Form der Magie.
„Krieg und Frieden“ oder „Chronik des Cthulhu-Mythos“?
Meine Doktorarbeit ist eine Monografie. Eine Monografie ist eine umfassende, in sich abgeschlossene Arbeit, also ein „Buch“ über ein gewisses Thema. 250 Seiten dafür sind in der Physik gutes oberes Mittelfeld; meiner Erfahrung nach schwankt es so zwischen 150 und 300 Seiten. Eine Randbemerkung: Wikipedia sagt, naturwissenschaftliche Dissertationen schwanken zwischen 30 und 150 Seiten – das halte ich für eine glatte Lüge.
Die Alternative zur Monografie ist eine kumulative Dissertation. Hierbei werden die wissenschaftlichen Publikationen, die man während der Promotionszeit veröffentlicht hat, salopp gesagt mitsamt einer Einleitung und Zusammenfassung zusammengetackert und abgegeben. Kumulative Dissertationen sind üblicherweise sehr viel kürzer als Monografien; eher so um die 150 Seiten oder weniger und ein großer Teil sind die reinkopierten Veröffentlichungen. Was hat mich also geritten, eine Monografie zu schreiben?
Schlicht gesagt: Ich hatte keine Wahl. Manche Unis erlauben diese Option nicht. Andere Unis verlangen eine Mindestanzahl an Publikationen für eine kumulative Dissertation. An der Freien Universität Berlin (meiner Uni) sind es vier. Ich hatte drei – knapp vorbei ist auch daneben. Doch viele entscheiden sich freiwillig für eine Monografie, auch wenn eine kumulative Dissertation erlaubt wäre, einfach wegen der In-Sich-Abgeschlossenheit. In einer Monografie lassen sich die physikalischen Grundlagen, Ergebnisse, Details und auch Misserfolge ausführlich diskutieren. Sachen, für die in Publikationen meistens kein Platz ist. Ich könnte meiner*meinem Nachfolger*in also einfach meine Doktorarbeit in die Hand drücken, und sie*er hat alles was nötig ist, um meine Arbeit zu verstehen und weiterzuarbeiten.
Wie ist das in anderen Fachgebieten? Eine Bekannte von mir hat ihre Dissertation in der gleichen Woche abgeschlossen wie ich. Sie ist Archäologin und ihre Dissertation ist 1008 Seiten lang. Tausend Seiten! Ich will nicht die Professorin sein, die sowas ständig lesen muss. Und schon gar nicht die Promovendin, die sowas schreiben muss. Aber da geht noch mehr: die längste Dissertation stammt von einem Historiker und handelt vom Segelsport – sie umfasst ganze 2200 Seiten und ist damit fast doppelt so lang wie die Gutenberg-Bibel. Die kürzeste Dissertation hingegen ist nur drei Seiten lang und handelt von „Naturmedizin gegen Impotenz im mittelalterlichen Persien“. Dazu gab es wohl nicht sehr viel zu sagen.
Ctrl+C, Ctrl+V, return: phd_thesis
Apropos Guttenberg. Es ist heutzutage sehr hip Doktorarbeiten von Politiker*innen auseinanderzunehmen und auf Plagiate zu prüfen. Ganz berühmt Karl-Theodor zu Guttenberg oder vor kurzem Franziska Giffey (sogar von der FU Berlin), beides Politikwissenschaftler*innen. Wenn man sich so durch die Liste von Plagiatsfällen klickt, verhalten sich die Naturwissenschaften auffällig unauffällig. Florian Freistetter hat hierzu bereits vor zehn Jahren einen sehr guten Blog-Artikel geschrieben und ich stimme ihm zu: In den Naturwissenschaften ist unauffälliges Abschreiben nicht so leicht. Während sich Geistes- und Sozialwissenschaften oft um vergleichende Literaturanalyse drehen, geht es in den Naturwissenschaften um Messdaten, Rechnungen und ähnliches. Da Forschungs-Communities sehr spezialisiert und klein sind, kennt man sich und es fällt schnell auf, wenn ich Ergebnisse von Thomas oder Susanne klau.
Versteht mich nicht falsch: wissenschaftliches Fehlverhalten gibt es leider auch in den Naturwissenschaften. Nur ist das meist etwas komplizierter als bloßes Abschreiben. Neulich hatte ich bereits den Fall von Jan Hendrik Schön erwähnt. Erst kürzlich gab es einen weiteren Fall in der Physik, der ebenfalls große Aufmerksamkeit erregte, weil es wieder die FU Berlin betraf (wie erst kurz zuvor bei Giffey). Ein mehrfach ausgezeichneter Professor hatte über Jahre Daten gefälscht und erfunden. Sowas lässt sich nur schwer entdecken und meist kommt es nur raus, falls mehrere Wissenschaftler*innen vergeblich versuchen Ergebnisse zu reproduzieren. Der besagte Professor durfte seinen Doktortitel wohl behalten, wenn er im Gegenzug die Uni verließ. Dieses zwielichtige Vorgehen warf kein gutes Licht auf die FU. Details dazu findet ihr an anderer Stelle.
Ghostwriting: Doktorarbeiten aus dem Jenseits
Eine weitere, dubiose Praktik ist das Ghostwriting von Dissertationen. Ghostwriting bezeichnet eine Dienstleistung, bei der professionelle Autor*innen Texte verfassen – ohne, dass ihr Name im Endprodukt erscheint. Beliebt sind Ghostwriter bei Prominenten, die eine Autobiographie herausbringen (Dieter Bohlen hat sein Buch wohl kaum selbst geschrieben), oder bei Politikern (ihr erinnert euch an Annalena Baerbock?). Ganz allgemein ist da nichts dabei. Wer viel beschäftigt ist oder vom Schreiben keine Ahnung hat lässt eben die Profis ran.
Neulich habe ich aber entdeckt, dass viele Websites Ghostwriting für Doktorarbeiten anbieten. Völlig unverfroren und ohne Scham. Für 50€ pro Seite bekommt man eine von Expert*innen verfasste Dissertation nach Hause geliefert (das wären stolze 12.500€ für meine Doktorarbeit). Das hat mich ehrlich gesagt ziemlich erschüttert. Was hat es damit auf sich?
Eine akademische Arbeit (Bachelor-, Master- und Doktorarbeit) ist eine Prüfungsleistung und man legt ihnen eine eidesstattliche Erklärung bei, mit der man versichert, die Arbeit selbstständig verfasst zu haben. Um es kurz zu machen: Ghostwriting ist ein Täuschungsversuch und nicht erlaubt. Beim Ghostwriting wird zwar ein Vertrag abgeschlossen, bei dem sich der eigentliche Urheber zur Verschwiegenheit über die eigene Urheberschaft verpflichtet und dem Kunden alle Rechte überschreibt. Doch das ändert nichts für den Prüfling, der in der eidesstattlichen Erklärung nun einmal gelogen hat. Warum gibt es dann also akademisches Ghostwriting? Ghostwriter machen sich nicht strafbar, und Unterstützung in Form von Literaturrecherche oder einem Lektorat sind legal. Genauso ist eine „Musterdoktorarbeit als Inspiration“ nicht verboten, wenn ihr versteht was ich meine *hüstel*.
Forschung von Berlin zum Weihnachtsmann
Kommen wir zurück zu meiner eigenen Doktorarbeit. Wie hier erklärt, funktioniert die Promotion in der Physik so, dass wir erst forschen (in meinem Fall: vier Jahre) und danach alles aufschreiben. Ich sagte bereits, dass ich neun Monate zum Schreiben gebraucht habe. Aber ich wollte es gern genauer wissen und habe mir Anfang des Jahres einen Timeular Time Tracker zugelegt. Und jetzt kann ich sagen: es hat exakt 535 Stunden und 55 Minuten gedauert, meine Doktorarbeit zu schreiben. 22 Tage, 7 Stunden, 55 Minuten. Laut Google Maps hätte ich in dieser Zeit zu Fuß 2600km von Berlin über St. Petersburg nach Rovaniemi, der Heimat des Weihnachtsmannes, laufen können. Wäre definitiv auch ein Achievement.
Bei einer 40h Woche hätte es knapp dreieinhalb Monate gedauert. Warum waren es dann aber neun, von Mitte Januar bis Mitte Oktober? Leider hört das (akademische) Leben nicht auf einmal auf, nur weil ich beschlossen hatte zu schreiben. Ich musste „nebenbei“ meine Forschung abschließen, eine Übungsgruppe leiten, Vorträge halten, und so weiter und so fort. Tatsächlich sahen meine neun Monate so aus:
Im September habe ich mir übrigens eine Woche frei genommen, und komme damit ziemlich genau auf eine 40h Woche. Ich habe allerdings keinerlei Pausen mitgerechnet. Kein Kaffee kochen, keine Toilettengang, kein Scrollen auf Instagram, Mittagspause schon gar nicht. Mir ist aufgefallen, dass es sehr viel schwerer ist, volle acht Stunden zu arbeiten, als ich dachte. Wenn mein Tracker mir „nur“ 9.5h Arbeit anzeigte, saß ich praktisch von 9 bis 22 Uhr am Schreibtisch.
Man gibt nicht ab, man gibt auf
Wie waren die letzten neun Monate für mich? Ich schreibe einen Blog, man sollte meinen ich habe Spaß am Schreiben und die Doktorarbeit sei kein Problem gewesen. Leider stimmt das nicht ganz. Seit April stand ich eigentlich konstant unter Stress. Da fing das Semester an und ich war in die Lehre eingebunden, und hatte deshalb nie so viel Zeit fürs Schreiben wie ich eigentlich wollte. Das war im August vorbei und zu dem Zeitpunkt hatte ich auch eine erste Version des Haupttextes aller Kapitel fertig. Klingt gut? Dachte ich auch, aber dann ging es bergab.
Es ging ans Polieren und Korrigieren, daran die nervigen Lücken und Details zu füllen, die ich beim ersten Durchgang leer gelassen hatte. Dann kamen Korrekturen von Probeleser*innen, die irgendwo zwischen „ok“ und „Vielleicht werd ich doch lieber Kaninchenzüchterin“ lagen. Je mehr ich machte desto größer schien der Berg an Arbeit, den ich noch erledigen musste.
Als alles „fertig“ war – drei Monate nach meinem ursprünglich angepeilten Termin – war ich ausgebrannt und unzufrieden. Ich hatte noch eine lange Liste an „Dingen, die man noch verbessern könnte, wenn noch Zeit ist“, aber schon seit einer Woche hatte ich das Gefühl, es wird nicht mehr besser, sondern nur noch anders, teilweise sogar schlechter. Jede Faser meines Körpers wehrte sich gegen den Gang zum Schreibtisch.
An dem Punkt habe ich beschlossen abzugeben. Nicht weil die Arbeit „perfekt“ war – ich war vermutlich nie so unzufrieden mit der Arbeit wie am Tag der Abgabe – sondern weil ich es nicht mehr ertragen hab. Auf dem Weg zur Druckerei habe ich gezittert und mir war schlecht, ich war kurz davor umzudrehen und doch noch eine Woche dranzuhängen.
Warum erzähl ich das? Nicht um Mitleid zu erhaschen, melodramatisch zu klingen, oder meine Arbeit schlecht zu machen. Sondern um die enorme psychische Belastung aufzuzeigen, unter der ich stand. Ich habe mich gänzlich überarbeitet, ohne dass ich überhaupt eine Deadline gehabt hätte. Ich könnte noch mehr ins Detail gehen (und mache es in einem zukünftigen Beitrag vermutlich auch), aber für den Moment will ich es dabei belassen.
Regeneration
Die Erleichterung kam dann eher schleichend. Die Abgabe der Arbeit zog einen Rattenschwanz an Aufgaben nach sich, die entweder über die letzten Monate liegen geblieben waren oder aufgrund von blöden Zufällen bald erledigt werden mussten. Es dauerte fast anderthalb Wochen, bis ich tatsächlich einfach mal frei hatte.
Ganz vorbei ist es aber immernoch nicht, denn in ein paar Monaten kommt der Endboss auf mich zu: Die Disputation, die mündliche Verteidigung der Arbeit. Im Moment versuche ich das jedoch noch zu verdrängen und das sich langsam einstellende Glücksgefühl zu genießen. Ein bisschen nichts tun. Endlich wieder meinen Hobbies nachgehen. Wie diesem Blog.
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