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Hobbits in Latex

Heute reden wir über Latex. Flexibel, passt sich jeder Form an, doch manchmal etwas unbequem, gerade für Einsteiger. Wer bei Latex nicht an schwarze, enganliegende Kleidung denkt, ist definitiv bei den Nerds angekommen. Rede ist vom Textverarbeitungsprogramm LaTeX – das wohl wichtigste und am weitesten verbreitete Tool unter Wissenschaftler*innen. Ausgesprochen wird es übrigens „La-tech“.

Fangen wir an mit einer kleinen Geschichte der Textverarbeitung. Bevor der Buchdruck erfunden wurde, schrieben die Menschen mit der Hand, und man gab sich – je nach Anlass – mehr oder weniger Mühe mit der Anordnung des Textes auf der Seite. In einem Brief wurde und wird geschrieben, wie es gerade passt, während für die Niederschrift eines Buchs mehr Arbeit in Ausrichtung und Gestaltung des Texts floss. Seit der Erfindung des Buchdruckes kommt man aus rein praktischen Gründen jedoch nicht mehr dran vorbei, im Voraus zu planen, wo welcher Buchstabe auf dem Blatt landen soll. Neben Autoren gibt es nun auch Schriftsetzer, deren Job es ist, ein Manuskript in ein Buch zu verwandelten. Sie kombinieren Bleilettern zu Sätzen, Spalten und Seiten, um sie nach dem Kartoffelstempel-Verfahren auf beliebig viele Blätter zu kopieren.

Mehr als 500 Jahre später – im Zeitalter der Computer, Smartphones und E-Books – ist vieles anders und Schriftsetzer gibt es lange nicht mehr. Doch ihr Handwerk ist nicht ausgestorben und lebt in der modernen Textverarbeitung weiter. Typische Schreibprogramme wie Microsoft Word bearbeiten die Texte noch immer – jedoch automatisch, still und heimlich: ein getippter Text wird unaufgefordert am Ende einer Zeile umgebrochen und auf mehrere Seiten verteilt; ein Klick genügt, um einen Text zu zentrieren, zu unterstreichen oder einzufärben. Dabei gerät schnell in Vergessenheit, was im Hintergrund passiert und, insbesondere, welche Möglichkeiten einem offenstehen, wenn man bereit ist, die Büchse der Pandora zu öffnen.

Der virtuelle Schriftsetzer

Möchte man lediglich einen Brief an sein Fitnessstudio schreiben, um die nie benutzte Mitgliedschaft zu kündigen, reicht es völlig aus, ein Textverarbeitungsprogramm wie Word zu verwenden. Doch was, wenn man mehr will? Text in Regenbogenfarben, Ausrichtungen entgegen jeglicher Logik, Worte an Stellen, wo noch nie zuvor ein Wort zuvor gewesen ist!

All das, und noch viel mehr, kann LaTeX. Es basiert auf TeX, einem in den 80er Jahren entwickeltes Textsatzsystem (wir erinnern uns an die Schriftsetzer, der den Text auf das Blatt setzt). Leslie Lamport (das ist übrigens ein Mann, falls sich das noch jemand gefragt hat) kreierte ein Programm, das TeX leichter nutzbar machte und es außerdem um viele Funktionen erweiterte. Das Programm wurde nach ihm Lamport TeX genannt – LaTeX war geboren.

So viel zur Geschichte, doch wie genau kann man sich LaTeX nun vorstellen? Word ist ein Textverarbeitungsprogramm nach dem „What you see is what you get“-Prinzip („Was du siehst ist was du kriegst“). Wenn ich einen Text in Word schreibe und ihn dann ausdrucke, sehe ich auf dem gedruckten Papier so ziemlich das gleiche wie im Schreibfenster – bis auf die Rechtschreibfehler. LaTeX hingegen funktioniert nach dem „What you see is what you asked for”-Prinzip („Was du siehst ist wonach du gefragt hast“). Das heißt, was ich auf dem Bildschirm sehe hat auf den ersten Blick nichts mit dem finalen Dokument zutun – ich frage LaTeX lediglich, etwas für mich zu tun.

Lasst mich euch ein Beispiel zeigen. Links seht ihr einen Text in Word, mit einigen speziellen Formatierungen und Verzierungen. Rechts seht ihr den LaTeX-Code, der zu etwa dem gleichen Dokument führt (Klick auf’s Bild für eine größere Ansicht):

Ich weiß was ihr denkt. Warum zur Hölle sollte man sich das antun? Bei einfachen Texten ist der Vorteil erstmal nicht offensichtlich, aber LaTeX glänzt bei komplizierteren Projekten. Versucht einmal mit Word folgendes Dokument zu erzeugen:

Kompliziertes Latex Dokument

Mit LaTeX: kein Problem. Den Code gibt es für Interessierte hier. Es gibt Befehle für alles. Schriftfarbe, Orientierung, Position, Formeln. Ein weiterer Vorteil von LaTeX ist, dass man alles machen kann, ohne ein einziges Mal die Hände von der Tastatur zu nehmen – also ohne die Maus zu berühren. Der Weg, den die Finger zum Tippen auf der Tastatur zurücklegen, ist viel kürzer, als die Bewegung der Hand an der Maus. Kein Suchen von Knöpfen in Menüs mehr. Wer gut ist, kann ein LaTeX-Dokument mit verbunden Augen schreiben.

Neben Anzugeben hat das Ganze den unbestreitbaren Vorteil, dass es schneller ist. Wer viel schreibt, muss effizient sein. Klar, die Befehle muss man erstmal kennen und das erfordert etwas Ausdauer. Es ist ein bisschen, wie eine Sprache oder ein Instrument zu lernen. Doch es lohnt sich!

Eine Gebrauchsanweisung für LaTeX

Hobbit in Latex

Aller Anfang ist schwer und am besten lernt es sich mit ein bisschen Humor. Mir hat damals die LaTeX Einführung von Manuela Jürgens der FernUniversität Hagen das Lernen versüßt. Umgangssprachlich auch das Hobbit Tutorial genannt. Dies ist eine Gebrauchsanweisung für LaTeX, die die Grundbausteine anhand von Textbeispielen aus dem Herrn der Ringe illustriert. Mittlerweile gibt es auch einen zweiten Teil: LaTeX – Fortgeschrittene Anwendungen. Oder: Neues von den Hobbits. Wird es wohl eine Trilogie?

Als Physiker*in gerät man meist an LaTeX, wenn man das erst Mal Formeln am Computer schreiben muss. So etwas wie E = h f (Planks Energie-Frequenz Beziehung) kann ich selbst am Handy noch ohne Probleme tippen, aber Formeln wie \langle \hat{f}\rangle(t) = \int \psi^*(\vec{r},t) f(\hat{\vec{r}},\hat{\vec{p}},t) \psi(\vec{r},t) d^3r will ich in Word nicht mehr schreiben müssen. Zugegeben: Der Formeleditor von Microsoft ist über die Jahre besser geworden, doch – meiner Meinung nach – einfach deshalb, weil er mittlerweile LaTeX Eingaben versteht.

Wer möchte kann das „What you see is what you get“-Prinzip von Word mit der Formel-Freundlichkeit von LaTeX kombinieren. LyX ist ein Beispiel für einen Texteditor nach dem „What you see is what you mean„-Prinzip („Was du siehst ist was du meinst“). Es gibt dir also nicht was du siehst, und auch nicht wonach du gefragt hast, sondern was du wirklich meinst. Endlich ein Programm, dass dich versteht!

LyX ist für Einsteiger leichter zu lernen als LaTeX, da man auf dem Bildschirm ein Feedback hat, was wie formatiert wird. Doch wer hoch hinaus möchte kommt an LaTeX nicht vorbei – und ich hab mir damals Hobbits mit auf den Weg genommen. Doch genug Theorie, jetzt möchte ich euch zeigen, wie viel Spaß man mit LaTeX haben kann!

6 LaTeX-Pakete, von denen du nicht wusstest, dass du sie brauchst – bis jetzt!

Die Standard-Installation von LaTeX kann das meiste, was man im (wissenschaftlichen) Alltag braucht. Möchte man mehr, kann man zusätzliche Pakete hinzufügen. Jedes Paket bringt neue Funktionen mit. Für besondere Formelzeichen, spezielleres Layout, zusätzliche Farben.

LaTeX  hat außerdem eine ungemein bedeutende Eigenschaft: Jeder kann eigene Pakete schreiben und veröffentlichen. Wenn ich etwas brauche und mich mit LaTeX auskenne, kann ich mein eigenes Paket schreiben. Aufgrund der Beliebtheit von LaTeX gibt es mittlerweile Pakete für fast jedes Problem: Notensätze für Musiker, Erstellen von Bibliographien oder Stichwortverzeichnissen, oder ein Zeichenprogramm.

Doch was passiert, wenn Nerds und Geeks die Möglichkeit haben, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen? Sie stürzen sich darauf (wie wir bereits bei Hello World gesehen haben). Die Funktionen werden immer komplexer und immer nutzloser. Denn die Frage ist nicht: Warum? Sondern: Warum nicht?

Spiele

Fangen wir seicht an. Es gibt eine Reihe von Paketen zur Erstellung von Spielen. Sudoku, Kreuzworträtsel, Schach, oder Bullshit-Bingo. Oder wie wär’s mit einem Daumenkino? Dieses Dokument wurde mit dem LaTeX Paket happy4th erstellt. Wenn ihr es in eurem PDF Viewer in voller Seitenansicht und ohne kontinuierlichen Bildlauf anschaut, und schnell genug scrollt, könnt ihr ein Feuerwerk sehen – auch wenn nicht vierter Juli ist.

realhats

Beispiel für das Paket realhats

In der Physik verwenden wir Operatoren, also Objekte, die eine gewisse Operation durchführen. Der Ortsoperator \hat{x} gibt zum Beispiel den Ort eines Zustands an. Wir kennzeichnen Operatoren, wie ihr grade gesehen habt, mit einem kleinen Dach, oder auch „Hut“. Wem das zu langweilig ist kann sich des LaTeX-Pakets realhats bedienen. Statt einem kleinen Dach kann man seine Operatoren mit Weihnachtsmütze, Zylinder, Krone oder Sombrero ausstatten.

coffee

Wenn man sich die Unterlagen einer anderen Person ansieht, kann man oft eine Menge über sie lernen. Wir alle hatten sicher diesen einen Lehrer, bei dem die zurückgegebenen Klassenarbeiten immer rochen, als hätte er sie in der nächsten Raucherkneipe korrigiert. Eventuell nutzt man diese Methode auch, um dem*der Chef*in zu zeigen, wie hart und lange man arbeitet, indem man gezielt ein paar Kaffeeflecken auf den Unterlagen verteilt.

Doch was macht man nun im Homeoffice? Hier hantiert man nur noch selten mit Papier. Wie soll ich nun meine Kaffeesucht zum Ausdruck bringen?

Diese Frage hat sich offenbar auch Hanno Rein gestellt, denn er hat ein LaTeX Packet für Kaffeeflecken entwickelt. Es dürfte nicht verwundern, dass er in Cambridge und Princeton war, wo man jede Menge Kaffee zu überleben braucht. Ohne Papier verschwenden zu müssen kann man verschiedene Arten von Kaffeeflecken auf dem Dokument verteilen. Eine Erweiterung für Weinflecken gibt es bereits, weitere Pakete für Senf, Ketchup, Schokoladen und Blut kommen vermutlich bald. Alles was man im Homeoffice so braucht.

Beispielbild für das coffee Paket

halloweenmath

In der Physik gibt es jede Menge Variablen. Für eine größere Auswahl leihen wir uns gern das griechische Alphabet. Doch manchmal reicht auch das nicht mehr aus. Ein Freund von mir hat sich eine Weile lang mit String Theorie beschäftigt, und als seinem Professor in einer Vorlesung die Variablen ausgegangen sind, hat er die Zahl 7 benutzt. Zahlen kommen in der theoretischen Physik sowieso kaum vor, also kann man sie auch als Variablen benutzen.

Doch wem das etwas zu wagemutig ist, oder zu langweilig, für den*die gibt es das LaTeX-Paket halloweenmath. Damit lassen sich Kürbisse, Hexen, Geister oder Totenköpfe in Formeln verwenden. Für das Plus an Adrenalin in der Theorie.

Beispiel für das Paket halloweenmath

Lasst mich euch einige Beispiele zeigen. In der ersten Zeile sehen wir eine klassische Gleichung mit einer Variablen. Wenn drei mal Kürbis gleich sechs ist, was ist Kürbis? Ist doch viel netter als immer nur x. Hat man so vielleicht auch häufiger schon in Form eines Knobelrätsels auf Facebook gesehen.

Gleichung Nummer 2 zeigt ein typisches Beispiel von schwarzer Magie. Im Internet wimmelt es nur so von „Mathetricks“, wie falsche Mathematik zu erstaunlichen Ergebnissen führt. Mithilfe des Operators für Schwarze Magie lässt es sich endlich angemessen kennzeichnen.

Gleichung Nummer 3 ist trivial, und Übungsaufgabe für motivierte Leser*innen.

bookshelf

Aus der CTAN Dokumentation des bookshelf Pakets (Peter Flynn)

Ein weiteres Problem des Homeoffices: Jeder richtet sich nun ein schönes Bücherregal her, das dekorativ und wie zufällig im Hintergrund bei der Videokonferenz steht. Was aber, wenn man Bücher nicht mag, nur E-Books ließt oder sich nicht auf die Videokonferenz beschränken möchte, sondern sein Bücherregal als Profilbild zur Schau stellen möchte? Hier hilft das bookshelf-Paket von XeLaTeX (eine anderes Programm zur Verwendung von TeX, das nicht von Leslie Lamport entwickelt wurde). Dieses Paket erstellt aus einer Liste von Büchern oder Artikeln ein hübsches Bild, das viele reale Büchersammlungen in den Schatten stellt. Auch geeignet als Alternative für die seelenlose Literaturliste am Ende einer wissenschaftlichen Arbeit. Ist vielleicht ein bisschen schwerer zu lesen, aber hat doch gleich viel mehr Charakter!

chickenize

Zum Schluss lassen wir es Krachen. Meister der nutzlosen und unterhaltsamen Pakete ist das LuaTeX-Paket chickenize (LuaTeX ist wie XeTeX ein weiteres Mitglied der TeX Familie). Der Wahnsinn lässt sich schon in der Dokumentation erkennen, denn sie ordnen ihre Funktionen in eventuell nützliche, weniger nützliche und völligen Unsinn. Es gibt etliche Befehle und es lohnt sich einmal reinzuschauen. Beispiele sind:

  • chickenize: Ersetze jedes Wort mit „chicken“
  • randomfonts: Wechsel die Schriftart zufällig bei jedem Buchstaben
  • guttenbergenize: Lösche alle Zitate und Fußnoten
  • italianize: Imitiere einen italienischen Akzent
  • dubstepenize: Übersetze de Text in Dubstep Lyriks
  • drawcov: Ganz neu – zeichne ein Corona Virus

Hier das Ganze in Action (den Code gibt es hier, wie man sehen kann stammen die Änderungen in der Tat nur von sehr kurzen Befehlen):

Demonstration des Pakets chickenize. Im ersten Absatz mit italienischem Akzent (italienize), im zweiten zufällige Groß- und Kleinschreibung (randomuclc), im dritten werden zufällig Worte durch chicken ersetzt (chickenize), und im vierten auf Dubsteb (dubstepenize) unterlegt mit einem Pferd (drawhorse). Und natürlich alles in Regenbogenfarben (rainbowcolor).

Welches Paket fehlt euch? Was wolltet ihr schon immer einmal in einem Dokument anstellen? Lasst es mich wissen! Und nun: Viel Spaß mit den Hobbits in LaTeX.


Dieser Artikel ist inspiriert von der Blogparade „Deine beste Story zum Thema Gebrauchsanleitung“ von Lisa Mümmler des iiBlog: Intelligent Information Blog – How to Create and Deliver Intelligent Information. Schaut mal vorbei!
(Klick auf’s Bild)



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