Close

Quantentechnologie 1.0

Quantentechnologie ist in aller Munde. Selbst in der Bild-Zeitung wird unter dem sachlichen Titel „Computer werden die Menschheit beherrschen!“ über Quantencomputer berichtet. In den meisten Fällen wird Quantentechnologie mysteriös dargestellt, als Produkt der Zukunft. Es klingt nach Science-Fiction. Doch was in den meisten Artikeln nicht erwähnt wird: Quantentechnologie existiert schon und wir alle haben sie zu Hause.

Die Quantentheorie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts geboren, als sich Max Planck mit der Schwarzkörperstrahlung und Albert Einstein mit der Quantisierung von Licht beschäftigt haben. Sie entdeckten – in einem langen Prozess und zusammen mit vielen anderen Physikern – eines der fundamentalsten Konzepte der Quantenphysik: den Welle-Teilchen-Dualismus.

Der Begriff Welle-Teilchen-Dualismus besagt, dass sich Teilchen manchmal verhalten wie Wellen, und dass sich Wellen manchmal verhalten wie Teilchen. Licht zum Beispiel – von dem man lange Zeit glaubte, es sei eine Welle – verhält sich manchmal wie ein Strom harter Kugeln. Elektronen – von denen man in der Schule gelernt hat, sie seien Teilchen – verhalten sich in manchen Experimenten wie Wellen. Der Welle-Teilchen-Dualismus ist aber größer, als einfach nur zu sagen „Es ist manchmal so, und manchmal anders“. Er besagt, dass man Objekte in der Quantenphysik gar nicht mehr in die Schubladen „Welle“ oder „Teilchen“ stecken kann. Das hat weitreichende Folgen: für Licht, Elektronen, Atome, und auch für unser alltägliches Leben.

Sonniger Strom und leuchtende Schranken

Einstein entdeckte, dass Licht aus Teilchen besteht – den Photonen – und konnte damit den photoelektrischen Effekt erklären. Er besagt, dass man Elektronen aus einem Metall herauslösen kann, wenn man es mit Licht der richtigen Farbe beschießt. Und Elektronen in Bewegung sind nichts anderes als: Strom. Von hier aus fehlten also nur noch wenige Schritte zur Entwicklung der Solarzelle. In den 40er und 50er Jahren gelang es Mitarbeitern der Bell Labs, Sonnenlicht in Strom zu verwandeln. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte eine der wichtigsten erneuerbaren Energiequellen.

Neben diesem Meilenstein stehen auch kleine Technologien, die wir aus dem Alltag kennen. Lichtschranken in Supermärkten, Fotokopierer, CCD-Sensoren in Webcams, und Nachtsichtgeräte. Sie alle basieren auf dem Prinzip, dass Licht einen Stromfluss auslösen kann. Gepriesen seien die Photonen, denn wer möchte die Supermarkttür schon gern selbst öffnen müssen?

Elektronenwolken und Siliziumtäler

Aus der Erkenntnis, dass sich Elektronen wie Wellen verhalten, folgt eine völlig neue Sicht auf Materie. Atome – die Bausteine von Materie – bestehen aus einem winzig kleinen Atomkern und drumherum fliegenden Elektronen. Bis zum 20. Jahrhundert stellte man sich ein Atom wie ein kleines Sonnensystem vor: Elektronen, die wie Planeten um den Atomkern, wie um eine Sonne kreisen. Da Elektronen aber eigentlich gar keine Teilchen sind, musste man sich von diesem Bild verabschieden. Man stellte fest, dass Elektronen vielmehr wie eine Wolke um den Atomkern verschmiert sind. Zugegeben, sehr merkwürdig geformte Wolken. Wir können nicht mehr sagen, wo genau sich das Elektron befindet, sondern nur, dass es irgendwo in dieser Wolke ist. Diese Elektronenwolken nennen wir in Anlehnung an den Orbit eines Planeten Orbital. Dieses neue Atombild hat Wissenschaftler*innen in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Man verstand auf einmal das Periodensystem, chemische Bindungen und die diskreten Energiesprünge in Atomen.

Im klassischen Atombild kreisen Elektronen auf Bahnen um den Atomkern (links). Laut der Quantenphysik können wir jedoch nur sagen, dass sich Elektronen mit großer Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Bereich im Raum aufhalten – dem Orbital (rechts).

Setzt man viele Atome ordentlich zusammen erhält man einen Festkörper; also Kristalle, Metalle, Salze, Einkaufszentren, all solche Dinge. Dicht gepackte Atome verhalten sich aber anders, als einsame. Ihre Orbitale überlappen sich, was zu faszinierenden Effekten führt. Für Quantentechnologie hat die Entstehung von Halbleitern eine besondere Bedeutung. Halbleiter sind temperamentvolle Mischlinge – halb Leiter, halb Nicht-Leiter. Ist ihnen zu kalt, leiten sie keinen Strom. Heizt man ihnen jedoch ordentlich ein, nimmt ihre Leitfähigkeit zu. Der berühmteste unter den Halbleitern ist Silizium. Hier sollte etwas klingen, denn das Silicon Valley ist nach ihm benannt. Die Heimat von Giganten wie Apple, Intel, Google, Facebook und Tesla. Silizium ist der Baustoff für Computerchips und Transistoren, und damit die Grundlage für Mikroelektronik, Computer und Smartphones. Silizium hat unsere Art zu leben vermutlich genauso stark beeinflusst, wie Steine den Neandertaler, sodass unsere Zeit auch Silizium-Zeitalter genannt wird.

Gesellige Photonen und kletternde Ziegen

Man hatte bereits vor der Entwicklung der Quantentheorie festgestellt, dass ein Atom nur ganz bestimmte Energiemengen aufnehmen oder abgeben kann. Wir sagen dazu: Die Energiezustände des Atoms sind diskret. Doch erst mit der Quantentheorie und dem Orbitalbild ließ sich diese Beobachtung ordentlich erklären. Die Energie des Lichts, das man auf das Atom strahlt, muss ganz genau mit der Energielücke im Atom übereinstimmen, sonst kann man es nicht anregen. Und wer sich aufregt, muss sich auch irgendwann wieder abregen; das gilt auch für Atome. Irgendwann wird das Atom die überschüssige Energie wieder in Form eines Photons mit einer ganz bestimmten Energie freigeben, um in einen entspannteren Zustand zurückzukehren.

Bringt man sehr viele Atome auf einmal in einen angeregten Zustand passiert etwas Spannendes. Photonen sind gesellige Tierchen, und wenn ein Atom ein Photon freisetzt, dann machen alle anderen mit. All diese Atome setzten identische Photonen frei, die im Gleichschritt in die gleiche Richtung marschieren. Und das ist nichts anderes als ein Laser! Das ist übrigens ein Akronym und steht für light amplification by stimulated emission of radiation‚ also Licht-Verstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung.

Die Photonen (Lichtteilen) in einem Laserstrahl sind ordentlich aneinandergereiht und laufen im Gleichschritt in die gleiche Richtung.

Solche Akronyme fallen übrigens nicht vom Himmel, sondern sind harte Arbeit. Irgendwann müssen sich Forscher*innen hinsetzen und ein cooles Akronym für ihre Forschung basteln. Ich selbst arbeite in meiner Forschung mit Optimierungsalgorithmen, die prachtvolle Namen tragen, wie GRAPE, GOAT, und CRAB (Traube, Ziege und Krabbe). GOAT steht zum Beispiel für Gradient Optimization for Analytic conTrols. Da hat jemand wirklich hart versucht, ein tolles Akronym zu finden. Der GOAT Algorithmus ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem Wild Goats Algorithmus, der sich mit dem Kletterverhalten von Ziegen beschäftigt.

Kommen wir zurück zum Laser. Sie sind eines der Aushängeschilder der Physik und überall. Zum einen an offensichtlichen Plätzen, wie Laserpointern, Laserdruckern und in Lasershows. Aber sie sind auch in vielen wichtigen Technologien im Alltag und der Medizin versteckt. CD, DVD und Bluray-Laufwerke, Materialverarbeitung, Messtechnik, Krebstherapie und Augenlasern würden ohne den Laser nicht funktionieren.

Genaue Uhren und viele Satelliten

Die diskreten Energieniveaus im Atom sind nicht nur für Laser wichtig, sondern zum Beispiel auch für die Atomuhr. Die exakten Energieabstände im Atom entsprechen genauen Frequenzen des Lichts und damit genauen Zeiteinheiten. Man hört oft beeindruckende Vergleiche, zum Beispiel dass eine Atomuhr seit dem Urknall nur um eine Sekunde falsch gehen würde. Doch wozu braucht man so eine genaue Uhr eigentlich? Zum Eierkochen vermutlich eher nicht.

Die Antwort haben wir alle in der Hosentasche: fürs Smartphone, genauer gesagt, das GPS. Wieder eine Abkürzung; es steht für global positioning system, also globales Positionsbestimmungssystem. Es wurde ursprünglich vom Verteidigungsministerium der USA aufgebaut.

global positioning system

Für das GPS umkreisen 24 Satelliten die Erde auf sechs verschiedenen Umlaufbahnen. Möchte ich meinen Standort bestimmen, wird ein Signal von meinem Handy an die GPS-Satelliten geschickt. Aus der Distanz von mir zu drei oder mehr dieser Satelliten lässt sich genau berechnen, wo auf der Erde ich mich befinde. Für eine höhere Genauigkeit berechnet man auch die Zeit mit ein, die das Signal von mir zum Satelliten und zurück braucht. Da Licht sehr schnell ist, werden dafür sehr genaue Uhren benötigt; deshalb ist jeder dieser Satelliten mit einer Atomuhr ausgestattet.

Als normaler Mensch kann man seinen Standort so auf ca. 8m genau bestimmen. Es gibt jedoch so etwas wie ein GPS+, das allein dem Militär vorbehalten ist (PPS, Precise Positioning Service). Damit kommt man bereits auf 6m Genauigkeit. Mittels verschiedener Korrekturmethoden kann man diesen Wert auf beeindruckende 10cm verbessern. Nützlich wenn beim Militär mal jemand sein Handy im Wald verloren hat.

Die erste Quantenrevolution

All diese Technologien können nur mithilfe der Quantenphysik vollständig erklärt werden. Damit stehen sie im Kontrast zur „konventionellen Technologie“, die wir mithilfe von klassischer Physik verstehen können. Ein Auto zum Beispiel. Sie haben zur sogenannten ersten Quanterevolution geführt. In den 40er bis 60er Jahren des 20. Jahrhunderts sind eine atemberaubende Menge neuer Technologien entstanden, die unser Leben verändert haben.

Wie der Name „erste Quantenrevolution“ bereits vermuten lässt sind wir noch nicht am Ende der Reise angekommen. Heute, keine hundert Jahre später, befinden wir uns mitten in der zweiten Quantenrevolution – einer Revolution der Superlative: kleiner, schneller, sicherer, präziser. Eine Revolution, bei der die ganz Großen mitmischen: Google, IBM, Microsoft, die deutsche Bahn. Und das ist die Technologie, die gemeint ist, wenn heutzutage in der Zeitung von „Quantentechnologie“ berichtet wird.

Zwei Revolutionen an einem Tag sind jedoch zu viel, und daher widme ich mich der zweiten Quantenrevolution in meinem nächsten Post. Bis dahin könnt ihr euch die Zeit mit dem Smartphone, einer Lasershow, oder einer guten, alten DVD vertreiben, und den Quanten gedenken, denen wir all das zu verdanken haben.


Gefällt dir was du liest? Falls du wissen willst wie es weiter geht, abonnier meinen Blog und verpass keinen neuen Beitrag mehr!


Quellen:
Jonathan P. Dowling, Gerard J. Milburn – Quantum technology: the second quantum revolution.
Wild Goats Algorithm: An Evolutionary Algorithm to Solve the Real-World Optimization Problems
GOAT algorithm: Tunable, Flexible, and Efficient Optimization of Control Pulses for Practical Qubits

4 thoughts on “Quantentechnologie 1.0

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.