Close

Quanta are watching you: Das Messproblem in der Quantenmechanik

Quanten sind empfindliche Tierchen. Ganz unter dem Einfluss des Peer pressures verhalten sie sich komplett anders, wenn jemand zuschaut. Im letzten Beitrag habe ich euch für den sogenannten Beobachtereffekt einige Beispiele gezeigt (wer den Teil noch nicht kennt, sollte da dringend nochmal reinlesen).

Quantenmechanische Messungen verhalten sich komplett anders, als klassische, also die, die wir aus dem Alltag kennen. Darum soll es heute gehen: Die Tücken und Feinheiten der quantenmechanischen Messung – und warum sie so faszinierend sind!

Grundbegriffe der Messung

Zuerst sollten wir einige Grundbegriffe klären und erste Erkenntnisse zusammenfassen, die wir im letzten Artikel bereits herausgefunden haben.

Was heißt „messen“?

Im Alltag ist das ein ganz intuitiver Begriff: ein Lineal anlegen, ein Messgerät anschalten. Im Falle des Lineals vergleichen wir eine Größe (die Länge) mit einer Referenz (dem Längenmaß auf dem Lineal). In den meisten anderen Fällen messen wir die Messgröße aber nicht direkt, sondern koppeln sie an eine andere Größe und diese ist es dann, die wir messen.

Ein Photon mit einem Lineal

Denkt an die analoge Küchenwaage. Eigentlich messt ihr nicht das Gewicht vom Mehl. In der Waage ist eine Feder, diese wird gestaucht und dadurch wird eine Nadel ausgelenkt. Ihr koppelt also die Gewichtskraft des Mehls an die Rückstellkraft der Feder und messt dann deren Auslenkung.

Das Gleiche passiert in den meisten Messgeräten. Und genauso machen wir es auch in der Quantenphysik. Statt zu messen, ob mein Atom in Zustand A oder B ist (worauf ich direkt gar keinen Zugriff habe, ich sehe sie ja nicht), koppel ich das Atom an etwas anderes, und messe dann diese Größe. Das nennt sich indirekte Messung.

Beobachten heißt messen

Sobald ihr etwas in die Welt der Quantenphysik einsteigt, werdet ihr merken, dass die Begriffe „beobachten“ und „messen“ fast wie Synonyme verwendet werden. Wir gehen davon aus, dass Hingucken schon ausreicht, um etwas zu messen. In der normalen Welt ist das merkwürdig: Nur weil ich das Mehl scharf angucke, weiß ich trotzdem nicht, wie viel genau es jetzt ist.

Ein Photon mit einer Lupe

Quantenobjekte sind aber empfindlich, wie wir bereits wissen und in der Regel reicht hingucken bereits aus, um das System zu stören. Denn Quantensysteme sind in Experimenten meist abgeschottet: in Hochvakuum, Kryostaten, vor Strahlung und jeglichem Einfluss von außen geschützt. Sobald wir „hingucken“, müssen wir das System öffnen – und damit lassen wir automatisch Störungen zu und das ist effektiv das gleiche, wie das System zu messen.

Messergebnisse sind statistisch verteilt

Was bei einer Messung herauskommt, kann niemand vorhersagen – auch nicht das Quantenobjekt selbst, wenn wir es fragen könnten. Nehmen wir als Beispiel ein Qubit. Wir wissen, dass Qubits weniger wie Schalter sind (0 oder 1), sondern eher wie Kugeln (0 oder 1 und alles dazwischen). Wenn ich nun messe „Bist du in 1?“ hängt mein Messergebnis davon ab, wo mein Qubit-Zeigerchen zum Zeitpunkt der Messung hinzeigt.

Messwahrscheinlichkeit eines Qubits
Die Wahrscheinlichkeit, ein Qubit im Zustand 1 zu messen, hängt von der Zeigerstellung. Links liegt sie bei 100%, rechts bei 75%.

Die Messung einer Eigenschaft beeinflusst eine andere

Die Heisenbergsche Unschärferelation sagt uns, dass wir zwei zusammenhängende Größen nicht beliebig genau gleichzeitig kennen können. Das Paradebeispiel hierfür ist der Ort und die Geschwindigkeit (genauer genommen: Impuls, also Masse mal Geschwindigkeit) eines Teilchens.

Wenn ich nun aber eine Größe messe, zum Beispiel den Ort, kenne ich ihn exakt. Was passiert dann mit dem Impuls? Er verschmiert! Sprich: Ich habe keine Ahnung mehr, wie schnell mein Teilchen ist.

Das funktioniert auch mit dem Qubit. Wenn ich die Eigenschaft „0 oder 1“ messe, ist die dazu passende Eigenschaft, die ich verschmiere, der Azimutwinkel des Pfeils in der Äquatorebene (der rote). Denn wenn der Pfeil nach oben oder unten zeigt, hat er in der Ebene keinen Winkel mehr.

Azimutwinkel des Qubits
Liegt der Pfeil des Qubits auf dem Äquator, ist der Azimutwinkel klar definiert (rot, links). Zeit der Pfeil nach oben oder unten, ist der Winkel nicht definiert und völlig unbestimmt (rechts).

Messungen machen Quanteneigenschaften kaputt

Bei der Messung geht mein Qubit also effektiv von einer Kugel zu einem Schalter über – es verhält sich nach der Messung wie ein gewöhnliches, klassisches Bit. Mit anderen Worten: Messungen machen Quantensysteme klassisch. Das liegt, grob gesagt, daran, dass Messungen wie Übersetzer von der Quantenwelt in die klassische Welt funktionieren. Ein Messergebnis muss klassisch sein, damit wir es verstehen. Der Quantenzustand ist aber quantenmechanisch. Damit das zusammenpasst, muss die Messung das Quantensystem „klassisch machen“.

Quanten-Übersetzter
Die Messung (rechts) agiert als Übersetzer zwischen Quanten- und klassischer Welt.

Messungen können nicht umgekehrt werden

Dies ist eine direkte Folge, aus dem vorherigen Punkt. Sind die Quanteneigenschaften erst einmal gelöscht, können sie nicht wieder zurückgebracht werden. Dieses „platt machen“ wird auch Kollaps der Wellenfunktion genannt; die Wellenfunktion ist das mathematische Objekt, mit dem wir Quantenzustände beschreiben. Dieses Objekt kollabiert zu etwas Kleinerem: Die Zombiekatze wird zum Stubentiger, das Qubit wird zum Bit.

Danach gibt es kein Zurück mehr. Natürlich können wir wieder von vorn anfangen, die Katze wieder in die Kiste sperren und das Qubit wieder neu überlagern, aber wir können die verlorene Information nicht wiederherstellen.

Die Murmel und der Quantenblob

Schauen wir uns ein konkretes Beispiel an, um diesen Kollaps besser zu verstehen.

Stell dir vor, du hast ein normales, klassisches System: eine Murmel. Die Murmel kann in verschiedenen Fächern eines Kastens liegen: 1 bis 5. Das sind die fünf verschiedenen Messwerte. Egal ob wir hinschauen oder nicht, die Murmel liegt immer über oder in einem der fünf Fächer.

Klassische Messung mit Murmel

Ein Quantensystem ist keine Murmel, sondern ein schleimiger Blob. Solang niemand hinguckt, verschmiert sich der Blob glücklich über die fünf Fächer. Wenn wir nun aber hinschauen und messen, in welchem Fach der Blob liegt, kollabiert der arme Blob vor Schreck und fällt in eins der Fächer.

Quantenmessung mit Quantenblob

Ihr ahnt es schon: Der Quantenblob ist unsere Wellenfunktion. Aus ihr kann berechnet werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit unser Quantensystem an welchem Ort ist. Aus unseren Beobachtungen oben können wir nun folgendes ableiten:

  • Am wahrscheinlichsten ist es, dass der Blob in das Fach fällt, wo im Moment des Hinguckens die meiste Schleimmasse drüber lag. Am zweitwahrscheinlichsten ist das Fach mit der zweitmeisten Schleimmasse, und so weiter.
  • Selbst bei zwei komplett identischen Schleimverteilungen kann der Blob in verschiedene Fächer fallen. Es wird nicht jedes Mal das Gleiche passieren.
  • Daraus folgt: Wir können nicht vorhersagen, in welches Fach der Blob fallen wird, selbst wenn wir seine Schleimverteilung kennen. (Ausnahme: Der gesamte Blob liegt über einem Fach)
  • Sobald der Blob in ein Fach gefallen ist, können wir nicht mehr rekonstruieren, wie die Schleimverteilung vor dem Kollaps war.

Wo ist das Problem im Messproblem?

Der Artikel heißt: „Das Messproblem in der Quantenmechanik“. Ihr könnt nun also fragen: Wo ist eigentlich das Problem? (Hier bitte Ohrwurm: „Wo ist das Problem?“ von Farin Urlaub einfügen)

Die Diskontinuität der Messung

Der gesamte Rest der Quantenmechanik ist kontinuierlich, das ist durch die Schrödingergleichung gegeben. Warum kollabiert die Messung dann so abrupt? Warum ist sie irreversibel, also nicht umkehrbar, während jede andere Entwicklung umgekehrt werden kann? Und wann genau passiert der Kollaps eigentlich? Wenn ich auf das Messgerät schaue? Wenn das Messgerät angeschlossen wird?

Geben wir es zu: Die Messung ist komisch und komplett anders, als alles andere in der Quantenmechanik. Wir haben einen mathematischen Formalismus gefunden, der funktioniert und den Ausgang von Messungen statistisch beschreiben kann. Aber so richtig verstanden haben wir nicht, was da passiert und warum.

Was ist die Wellenfunktion?

Die Wellenfunktion ist ein mathematisches Hilfsmittel, um das Ergebnis von Experimenten zu beschreiben. Das kann sie auch ziemlich gut – die Quantenphysik ist die mittlerweile am besten getestete Theorie der gesamten Physik. Doch die Wellenfunktion ist nicht real, das heißt, ich kann sie nicht anfassen und auch nur indirekt messen. Was soll das denn??

Aus dieser Frage haben sich die verschiedenen Interpretationen der Quantenphysik ergeben (ein paar davon habe ich hier präsentiert). Sie alle gehen anders mit dem Messproblem um. Aber sie alle sind und bleiben: Interpretationen, Philosophie. Was dieses abstrakte Objekt sein soll, mit dem wir täglich rechnen, wissen wir nicht. Aber ich habe das Gefühl, wir werden den Quantenblob noch einmal wiedersehen!


Dies ist der zweite Teil in der Serie „Quanta are watching you“. Um keinen Beitrag zu verpassen, vergiss nicht meinen Blog zu abonnieren. Wenn dir gefällt, was du liest, kannst du mir hier einen Kaffee spendieren!


1 thought on “Quanta are watching you: Das Messproblem in der Quantenmechanik

  1. Vielen Dank für die tollen Beiträge! Lese diese immer wieder gerne
    Ich finde das Buch „Warum wir nicht durch die Wände gehen“ von Florian Aigner ebenfalls sehr inspirierend.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.