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Akademische Selbstverteidigung – die Disputation

Es ist vorbei! Sechs Monate nach Abgabe meiner Doktorarbeit, 5 Jahre nach Beginn meiner Promotion, 10.5 Jahre nach meinem ersten Tag an der Uni – doctor rerum naturalium! Der Endboss ist besiegt, die Disputation ist vorbei! Und euch möchte ich natürlich nicht vorenthalten, was es damit auf sich hat, wie ich mich darauf vorbereitet habe und auch, wie sich Disputationen voneinander unterscheiden können.

Eine Info vorab: Wenn du dich generell für das Thema Promotion in der Physik interessiert, könnten auch diese beiden Artikel etwas für dich sein:

In diesem Artikel, dem vorerst letzten dieser Serie, geht es um die Verteidigung. Und auch hier ein Disclaimer: Ich erzähle von meinen Erfahrungen und denen anderer Physiker:innen. In anderen Fächern (und selbst an anderen Unis) kann das Vorgehen zum Teil erheblich abweichen.

Zwischen Doktorarbeit und Disputation

Die Gutachten

Vor sechs Monaten habe ich meine Doktorarbeit abgegeben und nun hatte ich meine Verteidigung. Was dauert da so lang, fragt ihr euch? Sehr gute Frage; das habe ich mich auch täglich gefragt. Üblicherweise vergehen zwei bis sechs Monate zwischen der Abgabe der Doktorarbeit und der Disputation. In dieser Zeit lesen die Gutachter:innen die Arbeit und bewerten sie. Das sind häufig zwei Professor:innen, eine davon die Doktormutter bzw. der Doktorvater (also die Person, die einen während der Promotionszeit betreut).

In anderen Ländern ist das manchmal anders. In Spanien zum Beispiel ist der Betreuer bzw. die Betreuerin nicht an der Notengebung beteiligt. Das klingt erst einmal sinnvoll, denn diese Person ist befangen und könnte dir eine bessere Note geben wollen als eine Fremde. Auf der anderen Seite kennt die betreuende Person deine Arbeit und das Forschungsgebiet am besten und kann sehr gut einschätzen, wie wichtig der Beitrag zur Forschung tatsächlich war. Die Benotung durch zwei Gutachter:innen dient als zusätzliche Absicherung, um Mauschelei zu verhindern.

Das Notensystem

Manche Unis haben noch weitere Vorsichtsmaßnahmen. An der Freien Universität Berlin kann man nur die Bestnote summa cum laude („Mit höchstem Lob“) erhalten, wenn beide Gutachter:innen sie vergeben haben. In diesen Fall wird ein zusätzlicher, externer dritter Gutachter angefragt und nur wenn dieser auch die Bestnote vergibt hat man eine Chance.

Üblicherweise sind die Notenstufen: summa cum laude („Mit höchstem Lob“), magna cum laude („Mit großem Lob“), cum laude („Mit Lob“), rite („Ausreichend“) und Nicht bestanden. Die FU Berlin hat diese Notenstufen abgeschafft – hier gibt es nur summa cum laude, Bestanden und Nicht Bestanden, weil in der Praxis sowieso fast ausschließlich summa und magna vergeben werden.

Die Auslagefrist

Sobald die Gutachten der Doktorarbeit vorliegen, muss die Arbeit öffentlich ausgelegt werden. Das bedeutet, dass promovierte Mitglieder des Fachbereichs (das heißt in meinem Fall: promovierte Physiker:innen der FU Berlin) meine Arbeit einsehen und sich beschweren können, falls sie denken, dass da etwas nicht stimmt. Reine Formalie – wer ließt sich schon zufällige Doktorarbeiten durch, um sich dann zu beschweren? Als Folge müssen Promovierende zwischen zwei und vier Wochen (in meinem Fall waren es natürlich vier) warten, bis es voran geht: Man kann einen Termin für die Verteidigung festlegen.

Die Verteidigung

Wir gehen ans Eingemachte. Was ist denn nun diese „Verteidigung“? Wer verteidigt da was? Gibt es Duellierwaffen? (Die Antwort wird euch überraschen!)

Am Ende der Promotion (und an manchem Unis auch am Ende des Bachelor oder Master-Studiengangs, wie bei mir damals in Kassel) muss man seine Arbeit wortwörtlich verteidigen. Förmlich heißt dies Disputation und sie ist ein wissenschaftliches Streitgespräch. Du präsentierst, diskutierst und, ja, verteidigst deine Arbeit vor einer Prüfungskommision, die aus ca. fünf Personen besteht, der Großteil davon Professor:innen (in meinem Fall: zwei Professor:innen, ein senior researcher, ein Postdoc und eine Doktorandin). Zusätzlich ist die Disputation öffentlich, das heißt Kolleg:innen, Freunde und Familie können zuschauen.

Verteidigung Sabrina Patsch
Foto von meiner Verteidigung

Runde 1 – Der Vortrag

Zu Beginn der Verteidigung präsentiert der Prüfling einen 30-minütigen Vortrag, in dem er oder sie ihre Forschungsergebnisse vorstellt. 5 Jahre Forschung in 30 Minuten – das klingt nicht nur sportlich, sondern ist es auch. Deshalb habe ich zum Beispiel nur zwei meiner vier Forschungsthemen vorgestellt und auch dabei nur die wichtigsten Resultate. Für technische Details und Schritt-für-Schritt-Erklärungen ist keine Zeit.

Runde 2 – Enge Fragerunde

Anschließend beginnt das Kreuzverhör. Zuerst stellt die Kommission 30 Minuten lang konkrete Fragen zur Arbeit. Wie hast du das gemacht? Kann man das auch anders machen? Warum hast du diese Methode benutzt und nicht die andere? Was hast du dir dabei gedacht? Wie kann ich das verstehen? Hier wollen die Prüfer:innen sehen, dass der Prüfling verstanden und gut durchdacht hat, was er oder sie gemacht hat, es begründen und erklären kann. Falls sie Probleme in deiner Arbeit entdeckt haben, werden auch diese diskutiert.

Runde 3 – Breite Fragerunde

In den letzten 30 Minuten wird der Fokus gelockert und es geht um breitere Fragen zum Forschungsgebiet oder prinzipiell zu beliebigen Themen der Physik. Das kann moderat ablaufen („Wie verhält sich dein System verglichen mit anderen Systemen?“), abstrakt werden („Wo wir grade von Materie sprechen, was passiert wohl wenn ich ein Stück dunkle Materie in der Hand halte und es fallen lasse?“) oder absurd („Wie könnte ich mithilfe eines Laserpointer komplexe quantenmechanische Zustände herstellen?“).

Dieser Teil ist der furcheinflößendste, denn man kann sich kaum darauf vorbereiten. Manche Fragen kann man erahnen, andere hätte man in seinen wildesten Träumen nicht erwartet. In diesem Teil wollen die Prüfer:innen herausfinden, ob du ein Fachidiot bist oder auch über dein Thema hinaus Ahnung von Physik hast. Je besser deine Note, desto schwieriger die Fragen. Die Kommission will dich schwitzen sehen. Sie wollen herausfinden, ob du spontan über Fragen nachdenken kannst, deren Antwort du nicht kennst. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Prüfer:innen die Antwort selbst nicht kennen.

Vorbereitung

Nun da ihr wisst, was in der Disputation passiert, fragt ihr euch vielleicht: Wie bereitet man sich darauf vor? Es gibt zwei Aspekte: die fachliche und die mentale Vorbereitung, die oft mehrere Monate dauern.

Fachliche Vorbereitung

Jede:r bereitet sich anders auf diese Herausforderung vor. Ich habe im Januar damit angefangen, in der Hoffnung meine Verteidigung wäre Mitte Februar. Letztendlich war sie im April… Aber natürlich steht die Zeit nicht still – das Unileben und die Arbeit gingen nebenher weiter.

Notizen Vorlesung
Notizen aus einer Bachelorvorlesung – Sinnbild der Motivation einer jungen Studentin

Zuerst habe ich die eigentliche Präsention für die Verteidigung erstellt und währenddessen etwas Hintergrund-Literatur zum jeweiligen Thema gelesen. Anschließend habe ich quasi meinen Bachelor im Schnelldurchgang wiederholt. In knapp vier Wochen bin ich durch alle Grundvorlesungen der theoretischen Physik gegangen, um auf allgemeine Physikfragen vorbereitet zu sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich gefragt werden, die Maxwellgleichungen (die Grundgleichungen der Elektrodynamik) hinzuschreiben ist vielleicht klein. Aber falls es doch passiert will man sich auf keinen Fall blamieren!

In den letzten zwei Wochen vor der Verteidigung ging es ans Eingemachte. Aufgrund externer, unglücklicher Umstände (hrm hrm, COVID) hatte ich trotz der langen Wartezeit weniger Zeit zur finalen Vorbereitung als gehofft. In dieser Phase habe ich noch einmal meine eigene Doktorarbeit und Literatur (also wissenschaftliche Publikationen) gelesen, zu Themen, bei denen ich unsicher war; sowie Übersichtsartikel, die „das große Ganze“ behandeln (sogenannte review article), um mich auf die zweite Fragerunde vorzubereiten. Dabei habe ich versucht mir vorzustellen, welche fiesen Fragen ich nicht beantworten könnte (je mehr man lernt, desto mehr fallen einem dazu ein, es ist ein Teufelskreis).

Mentale Vorbereitung

Rückblickend kann ich sagen: 90% meiner Vorbereitungen waren unnötig. Niemand hat mich nach den Maxwellgleichungen gefragt. Stattdessen wurde ich zu anderen Themen gefragt, zu denen ich eigentlich noch etwas nachlesen wollte, zu denen ich zeitlich aber nicht mehr gekommen bin. Für das eigene Sicherheitsgefühl ist es trotzdem gut, sich gründlich vorzubereiten. Du weißt, du hast dich vorbereitet. Die Wiederholung von Grundlegendem war außerdem sinnvoll – man vergisst doch sehr schnell!

Würde ich es rückblickend anders machen? Nein. Man kann nicht wissen, welche Fragen den Prüfer:innen spontan durch den Kopf gehen. Egal wie lange man sich vorbereitet, man kann nicht alles wissen. Niemand kann das, auch die Professor:innen nicht. Hab stattdessen Vertrauen, dass du in den letzten 5 Jahren tatsächlich ein bisschen was über Forschung und dein Thema gelernt hast – und du tatsächlich Expert:in darin bist, ganz ohne Pauken!

Was mir außerdem geholfen hat, ist, mir klar zu machen: Niemand will mir etwas böses. Ja, man wird geprüft, aber niemand will dich scheitern sehen. Du hast mit deiner Doktorarbeit beweisen, dass du eines Doktortitels würdig bist. Solang deine Betreuer:innen keine diabolischen Wesen aus dem fünften Kreis der Hölle sind, wollen sie, dass du bestehst.

Aftershow-Party

Sabrina Patsch mit Doktorhut
Ich in meiner ersten Minute als Doktorin

Manche Leute sagen, die Disputation ist letztendlich nur eine Show. Eigentlich wüssten die Prüfer:innen bereits, welche Note man vergibt, sie wollen sie nur bestätigt sehen. Das kam mir zwar nicht so vor, als ich dort vorn stand, aber im Nachhinein ist das sicherlich nicht ganz falsch. Es wäre fast zuviel verlangt, dass eine einzige Prüfung deine Leistung der letzten 5 Jahre schmälern sollte. Durchfallen ist fast unmöglich, solang du zeigst, dass du dir Mühe gibst.

Die Disputation ist vielmehr eine Feier. Alle putzen sich hübsch raus, es gibt ein Buffet (das man zugegeben selbst organisieren muss) und man stößt auf das Ende einer jahrelangen Reise an. In Deutschland haben wir zwar kein traditionalles Doktor-Outfit mit Doktorhut und Talar – wir haben etwas besseres (oder zumindest persönlicheres)!

Der Doktorhut

Es ist Tradition, dass die anderen Doktorand:innen der Arbeitsgruppe dem:der frisch gebackenen Doktor:in mit eigenen Händen einen Doktorhut basteln! Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass bei einer Gruppe theoretischer Physiker schon der ein oder andere Finger beim Papierschneiden lädiert wurde. Es wird aber nicht nur ein Hut gebastelt, sondern er wird auch mit persönlichen Gegenständen oder Bildern verziert, die auf die Promotionszeit anspielen. Diesen Hut bekommt man dann direkt nach der Notenverkündung feierlich verliehen.

Ein paar Beispiele, was auf meinem Hut alles drauf war: In der Mitte trohnt eine rundliches Figürchen mit einem Hut (Hut-ception). Der Hut ist, wie ihr sicher aller erkannt habt, ein Journalistenhut, der auf meine Schreiberei anspielt. Außerdem ist das Figürchen von einem Schlauch umgeben, in dem eine blaue Kugel rollt – ein Elektron! Dies steht für die zirkularen Rydberg-Atome, mit denen ich arbeite, und die aussehen wie Hula-Hoop Ringe (wer meinen Science Slam zu den tanzenden Atomen kennt, wird das Ballerina-Atom wiedererkennen). Außerdem finden sich auf meinem Hut einige Harry Potter Anspielungen, weil ich bekennender und passionierter Harry Potter Fan bin. Ich will aber nicht alles verraten und vielleicht erratet ihr ein paar der Anspielungen auch allein!

Doktorhut Sabrina Patsch
Mein Doktorhut – mit Liebe von meinen Kolleg:innen gebastelt

Andere Länder, andere Sitten

Die Disputation unterscheidet sich von Uni zu Uni und von Fachbereich zu Fachbereich. Dazu, wie eine Disputation in der Psychologie abläuft, kann ich nicht viel sagen – da gibt es bessere Ansprechpartner:innen als mich. Es gibt auch Alternativen zur Disputation, zum Beispiel das Rigorosum oder Prüfungskolloquium. Aber auch damit kenne ich mich nicht aus, denn ich habe noch nie jemanden getroffen, der*die so etwas gemacht hätte. Allerdings kenne ich ein paar Anekdoten, wie die Disputation in anderen Ländern aussieht, die ich euch nicht vorenthalten will:

  • Finnland: Promovierte bekommen nach ihrer Verteidigung traditionell einen Hut und ein Schwert verliehen. Sie symbolisieren die Freiheit der Forschung und der Kampf für das Gute, Richtige und die Wahrheit (ich hab euch Waffen versprochen, hier sind sie!). Dafür müssen sich die Promovenden auch einige Stunden(!) lang verteidigen.
  • Niederlande: Promovierende ernennen zwei Personen als „Joker“ (paranimfen), die einspringen, falls sie sich nicht wohlfühlen oder falls es zu körperliche Auseinandersetzungen kommt – wie Sekundant bei einem Duell. Glücklicherweise ist diese Position heute hauptsächlich symbolisch.
  • Argentinien: Nach der Verteidigung ist es Tradition, dass Familie und Freunde die Promovierenden mit Farbe, Eiern, Mehl oder Konfetti bewerfen. Üblicherweise sind sie aber darauf vorbereitet und ziehen sich vorher alte Klamotten an. Bei Männern ist es außerdem Tradition, sich die Haare abzuschneiden. Das wird allerdings nicht mehr von allen befolgt und manchmal wird nur symbolisch ein kleines Stück Haar abgeschnitten.

Kennt ihr andere Sitten oder Traditionen? Was waren eure Erfahrungen bei der Promotion? Falls ihr promoviert seid: Was war auf eurem Doktorhut? Lasst es mich wissen!


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