Es ist der 08. März und das heißt: es ist internationaler Frauentag! In Berlin sogar ein Feiertag! Dieses Jahr steht er unter dem Motto: #BreakTheBias – für eine Welt frei von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung. Als Frau in der Physik könnt ihr euch sicher denken, dass ich zu diesem Thema meinen Senf dazugeben kann. Heute will ich euch außerdem nicht allzu sehr mit Zahlen füttern (die gibt es im Netz reichlich), sondern insbesondere von meinen ganz persönlichen Erfahrungen erzählen.
Brainstormen wir einmal zum Thema Stereotype und Vorurteile in Bezug auf Frauen in der Physik:
„Mädchen sind schlechter in Mathe.“
Ihr könnt es euch vielleicht denken: ich war in der Schule gut in Mathe und ebenso in Physik. Und ja, ich war im Physik- und Mathe-Leistungskurs in eher männlicher Gesellschaft. Eine Ausnahme, mag man meinen. Leider zeigen z.B. die Pisa-Studie tatsächlich, dass Mädchen im Schnitt schlechter in Mathe abschneiden als Jungs. Das liegt aber nicht daran, dass weibliche Gehirne ein Problem mit Mathe haben, sondern meiner Meinung nach (und der vieler Wissenschaftler:innen) an schlechten Rollenklischees. Weil Mädchen gesagt bekommen, sie seien schlechter in Mathe, werden sie schlechter in Mathe. Denn „es ist ja ok“ als Mädchen schlecht in Mathe zu sein (Quellen und mehr dazu hier).
„Du siehst gar nicht aus wie eine Physikerin.“
Ganz ehrlich, wie sieht ein:e Physiker:in denn aus? Mit wilden weißen Harren und herausgestreckter Zunge? Selbst meine männlichen Kollegen sehen so nicht aus. Physikerinnen haftet das Klischee burschikoser Weiber oder grauer Mäuslein an. Klar gibt es die in der Physik – genauso wie jeden anderen Stil. Mein Aussehen hat nichts damit zutun, wie gut ich in Physik bin. Punkt.
„Physiker sind sozial inkompetente Nerds.“
Das betrifft natürlich Männer und Frauen. Stichwort: Big Bang Theory. Die Serie hat viel für die Physik getan – Gutes wie Schlechtes. Physik ist salonfähig geworden, nerdig ist cool, Leute wissen wer Schrödingers Katze ist. Aber: Fast alle Physiker:innen in Big Bang Theory sind nerdig und männlich. Die Frauen in der Serie sind entweder Biologinnen oder (sorry Penny) dumm. Eine der wenigen Ausnahmen: Leslie Winkle. Sie taucht in den ersten drei Staffeln häufiger auf, verschwindet dann jedoch. Sie ist taff und ist nicht auf das Physikerinnen-Klischee getrimmt. Leider fokussiert sich ihre Rolle in der Serie auf (mehr oder weniger) romantische Beziehungen zu den Jungs. Genauso wie bei jeder anderen Physikerin, die in der Serie auftaucht.
Renovierungsbedarf in der Wissenschaft: Tropfende Röhren und gläserne Decke
Verlassen wir die platten Stereotype und gehen ans Eingemacht. Es gibt Probleme in der Wissenschaft, und zwar nicht nur in der Physik. Eines wird visualisiert von der tropfenden Röhre, besser bekannt unter dem englischen Begriff der leaky pipeline. Am Anfang des Studiums ist der Männer- und Frauenanteil fast gleich (nicht in der Physik, da sind es nur um die 20%, sondern über alle Fachgebiete verteilt). Doch je höher man in der Karriereleiter steigt – vom Bachelor- und Masterstudium, zur Promotion und schließlich der Professur – sink der Frauenanteil. Frauen tropfen aus dem System wie Wasser aus einem brüchigen Rohr. Übrig sind bei der Berufung zur Professur nur noch gut 36%.
Wohlgemerkt: das gilt über alle Fachrichtungen hinweg! Auch zum Beispiel in der Biologie, wo der Frauenanteil zu Beginn des Studiums sogar höher ist als der der Männer, dreht sich das Verhältnis zu höheren Karrierestufen um. Dies wird auch als gläserne Decke bezeichnet: ab einem gewissen Punkt steigen Frauen nicht weiter auf, obwohl es keine „offensichtlichen“ Barrieren gibt.
Gründe dafür gibt es viele. Kurz gesagt: eine ungünstige Mischung aus schlechten Arbeitsbedingungen, Diskriminierung und implicit bias (also unbewussten Vorurteilen gegenüber bestimmten Personengruppen) in der Wissenschaft. Wenn junge Mädchen statt GNT „Germany’s Next Top Scientist“ schauen würden, würden wir nach 15 Staffeln vielleicht auch endlich begreifen, wie kaputt das akademische System ist. Aber das ist ein Thema für sich und würde diesen Post sprengen. Wer mehr lesen möchte kann zum Beispiel auf dem Blog der Lise-Meitner-Gesellschaft vorbeischauen, für den ich einen Artikel zum Thema geschrieben hab (englisch).
Aus dem Leben einer Physikerin
Alles bisherige könnt ihr auch in diversen Studien, Büchern oder im Netz ausführlich nachlesen, ohne je einen Fuß in einen Physik-Hörsaal gesetzt zu haben. Doch das Leben ist keine Studie. Deshalb will ich euch von meinen ganz konkreten Erfahrungen als Frau in der Physik erzählen. Zuvor ein offensichtlicher Disclaimer: Es folgen meine Erfahrungen und ich kann für niemand anderen sprechen, erst Recht nicht für die gesamte Physikerinnenschaft. Die Liste ist unvermeidlich unvollständig.
Starke Netzwerke
Es folgen erstmals positive Nachrichten in diesem Post: Mir geht es gut. Ich werde nicht angefeindet, ausgeschlossen, diskriminiert oder belästigt. Leider weiß ich, dass das bei anderen Physikerinnen anders ist. Ich bin Teil einer wunderbaren Arbeitsgruppe, in der ich viele Freunde gefunden habe.
Dazu sei gesagt: meine betreuende Professorin ist eine Frau. Ich weiß aus Erzählungen, dass das nicht automatisch zu einer Frauen-freundlichen Umgebung führt. Doch meiner Professorin ist Gleichstellung wichtig. Sie unterstützt mich und hat ein starkes, weibliches Netzwerk, von dem auch ich profitiere. Ich kenne viele Physikerinnen, darunter viele Professorinnen, und im Gegensatz zu (männlichen) Professoren, stehe ich den Professorinnen näher. Wir begrüßen uns mit einer Umarmung, trinken etwas zusammen oder waren bereits gemeinsam in der Sauna (bekleidet – so nah nun auch wieder nicht). Natürlich trifft das nicht auf alle Professorinnen zu, die ich kenne, aber bei den Männern sind es Null.
Ich hatte das Glück häufiger an reinen Physikerinnen-Konferenzen teilnehmen zu dürfen. Ohne Ausnahme war die Atmosphäre wärmer und die Hierarchie flacher als auf gemischten Konferenzen. Der Fokus lag dabei häufig auf sozialen Themen: Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, Networking, Soft-Skills. Meine männlichen Kollegen fragten mich dann: Warum gibt’s sowas nicht auf gemischten Konferenzen? Ja, warum denn eigentlich nicht?
Nachhilfe für Frauen
An meiner alten Uni gab es ab und zu einen speziellen Kurs nur für Physikerinnen. Ich erinnere mich nicht an den Namen (er wurde nach meiner Studienzeit eingeführt), aber es war im Prinzip ein „Nachhilfeangebot“ für Physikerinnen in den ersten Semestern.
Ach Schreck, sind Studentinnen so schlecht, dass sie extra Nachhilfe brauchen? Nein, absolut nicht. Aber da Studentinnen Exoten im Physik-Hörsaal sind, fallen sie mehr auf und wir erinnern uns an das „Mädchen sind schlecht in Mathe“-Vorurteil. Einige Studentinnen fühlen sich nicht wohl, Fragen zu stellen, denn dann sehen sie das Vorurteil bestätigt. Die Kurse für Physikerinnen sind dazu gedacht, einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie so viele „dumme Fragen“ stellen können wie sie wollen, ohne sich schräg angestarrt zu fühlen. Manche denken aber, dass diese Kurse nur das Vorurteil verstärken, dass Frauen extra Hilfe nötig hätten. Ich denke, alles was hilft Frauen in der Physik zu halten lohnt sich.
Eine Folge dieser Vorurteile ist, dass Frauen oft das Gefühl haben sich extra stark beweisen zu müssen. „Genauso gut“ reicht nicht. Dazu zähle auch ich. Ich bin recht trotzig und ich bin stolz, wenn ich beweisen kann, dass eine Frau gut in Physik ist, vielleicht sogar die Beste des Kurses. Als Ergebnis macht man sich aber konstant mehr Stress, als vielleicht nötig wäre.
Das ist doch alles nur geklaut
Die Vorurteile gegenüber Frauen bringen noch eine weitere Hürde mit sich: Erfolge werden aberkannt. Ich habe öfter gehört, ich hätte die gute (meist: bessere) Note nur bekommen, weil ich eine Frau sei. Gerade bei mündlichen Prüfungen lässt sich sowas schlicht nicht überprüfen. Auch, dass meine Professorin mir ermöglicht hat, auf Konferenzen für Physikerinnen zu fahren, sahen manche als Bevorzugung. Beweisen kann ich nichts, aber ich denke ich lehne mich nicht aus dem Fenster wenn ich behaupte: da spricht purer Neid.
Erfolge betreffen nicht nur Noten, sondern sind oft subtiler. Auf Physik-Konferenzen gibt es Poster-Sessions, auf denen (meist eher junge) Wissenschaftler:innen ihre Forschung präsentieren und bei Bier und Fingerfood darüber diskutieren. Ganz offensichtlich war man bei einer Poster-Session erfolgreich, wenn die Stimme hinterher im Eimer ist, weil man drei Stunden ohne Pause geredet hat. Weniger erfolgreich war, wer stattdessen Löcher in die Luft gestarrt und das Etikett von seiner Bierflasche genibbelt hat, weil niemand zum Poster gekommen ist. Was macht denn ein Poster erfolgreich? Spannende Ergebnisse und eine ansprechende visuelle Erscheinung… Moment, des Posters oder der Person? Manchen Menschen nach beides. Auch hier habe ich schon den Vorwurf gehört, mein Poster wäre nur so gut besucht gewesen, weil ich eine Frau bin.
Vorbild sein
Extra-Würste wie Frauen-Konferenzen funktionieren jedoch in beide Richtungen. Um Frauen in der Physik zu fördern, gibt es immer häufiger spezielle Events (z.B. den Girls Day – falls zufällig Berliner Schülerinnern der 7./8. Klasse mitlesen: ihr könnt uns besuchen!) oder an Mädchen gerichtete Infostände bei öffentlichen Veranstaltungen. Und wenn du die einzige Frau in der Gruppe bist, wer darf sich dann um diese Dinge kümmern? Bingo!
Versteht mich nicht falsch, ich mache sowas gern. Ich finde es wichtig. Aber es ist trotzdem extra Arbeit und wenn ich diese Dinge nicht machen würde, würde sie keiner machen. Ich bekomme auch hier zum Glück Unterstützung aus meiner Gruppe. Aber Gleichstellungsarbeit bleibt leider zum Großteil an Frauen hängen. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen, um Mädchen Vorbilder zu liefern.
Ein einziger Blog-Post kann den ganzen Umfang des Problems nicht erfassen. Das Problem der Gleichberechtigung ist außerdem eng mit den generellen Problemen in der Wissenschaft verknüpft und müssen deshalb gemeinsam angegangen werden (hierzu auch mein Post zur Promotion und #IchBinHanna).
Eines ist jedoch Tatsache: Als Frau in der Physik fällt man auf. Leute erinnern sich an mich. Sei es, weil ich eine von fünf Frauen auf einer Konferenz war, oder vielleicht doch weil ich rote Haare hatte. Man hebt sich von der Masse der unscheinbaren, Hoodie-tragenden, weißen Physiker ab (Vorsicht: Vorurteile!). Und wenn man ein Netzwerk schmieden und Karriere machen will, hilft es ungemein, wenn sich Leute an dich erinnern.
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