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Techno in der Arztpraxis

WROUM, Schi, Schi, Schi, WROUM, Schi, Schi, Schi, Jiiii, Jiiii, Jiiii, Jiiii

Nein, wir befinden und nicht auf einem Techno-Konzert, sondern in einer MRT-Röhre. Alle, die schon einmal das zweifelhafte Vergnügen hatten, ein MRT-Bild anfertigen lassen zu müssen, wissen, wovon ich spreche. Als wäre es nicht schlimm genug sich wie Dracula im Sarg zu fühlen wird man dabei noch von der wohl langweiligsten Techno-Musik der Welt beschallt. Als ich so dalag und versuchte, nicht im Takt mitzuwippen, fragte ich mich: Muss das wirklich so laut sein?

Was war nochmal Kernspinresonanz?

Bevor wir uns auf die Suche nach dem Klopfen und Hämmern machen erinnern wir uns daran, was die MRT überhaupt ist. MRT steht für Magnetresonanztomographie und in meinem Post über die Kernspinresonanz (NMR) habe ich mich mit den ersten beiden Teilen beschäftigt: Magneten und Resonanzen. Falls du diesen Artikel noch nicht kennst würde ich empfehlen ihn vorher zu lesen. Zum Auffrischen gibt es hier noch einmal das wichtigste in aller Kürze:

MRT-Bilder zeigen nicht etwa die Dichte des Gewebes im Körper, wie Röntgenbilder es tun, sondern die Dichte von Wasserstoffatomen. Alle Atomkerne, und somit auch die von Wasserstoff, sind positiv geladen und haben einen Spin. Der Spin ist eine Größe der Quantenmechanik und beschreibt, bildlich gesprochen, mit wie viel Schwung sich ein Teilchen um die eigene Achse dreht. Die Kombination aus Ladung und Spin führt dazu, dass Atomkerne magnetisch sind. In einem Magnetfeld drehen sich Atomkerne deshalb wie Kreisel um die Magnetfeldlinien. Die Anzahl der Drehungen, die der Atomkern pro Sekunde vollführt, heißt Larmor-Frequenz.

Atomkerne verhalten sich wie rotierende Stabmagneten

Indem wir die Atomkern-Kreisel mit Radiowellen beschießen können wir sie „andrehen“. Das funktioniert aber nur, wenn die Frequenz der Radiowelle gleich der Larmor-Frequenz ist – das nennen wir Resonanz. Genau wie ein Spielzeugkreisel irgendwann wieder aufhört sich zu drehen, so trudelt auch der Pirouetten-drehende Atomkern langsam in seine Ruhelage zurück. Hierbei sendet er Radiowellen aus, die wir messen können. In diesen Wellen sind eine ganze Menge Informationen versteckt: über die Atomsorte, die Atome in der Nähe des Kerns – und somit über die Beschaffenheit unseres Körpers.

Anregung, Präzession und Relaxation des Kernspins

Das Hin und Her der Radiowellen lässt sich als Blindekuh-Spiel verstehen. Wir können die Atomkerne nicht sehen und rufen „Marco?“ in den Körper hinein. Wenn Atomkerne da sind und sie die richtige Larmor-Frequenz haben, werden sie mit einem „Polo!“-Ruf antworten – und wir wissen, dass sie da sind!

Flachland vs. Raumland

Radiowellen schaden unserem Körper nicht, ganz im Gegensatz zu Röntgenwellen, und deshalb ist eine MRT harmlos für uns. Als wäre das nicht genug, hat sie auch den bestechenden Vorteil, dass MRT-Bilder dreidimensional sind. Ein Röntgenbild, wie wir es von Knochenbrüchen kennen, funktioniert nach dem Projektionsverfahren. Hierbei werden alle Strukturen des Körpers auf die gleiche Fläche projiziert und überlagert. Anhand eines flachen Röntgenbilds können wir nicht sagen, welcher Knochen über welchem liegt.

Projektions- und Schnittbildverfahren
Unterschied zwischen dem Projektions- und Schnittbildverfahren (Tomographie). Im Projektionsverfahren werden hintereinander liegende Objekte überlagert (gelb). Ein Schnittbild zeigt den Querschnitt durch den Körper an einer bestimmten Stelle (lila).

Das T der MRT hingegen steht für Tomographie, oder einfacherer Schnittbildverfahren. Ähnlich wie bei einem Daumenkino wird ein dreidimensionaler Körper in viele, einzelne Schnittbilder zerlegt. Jedes dieser Schnittbilder zeigt, wie der Körper aussähe, würde man ihn an dieser Stelle aufschneiden (ganz ohne Blutvergießen). Zusammen ergeben die Schnittbilder das 3D-Model des Körpers, aus dem Ärztinnen und Ärzte mehr lernen können, als aus einem flachen Röntgenbild.

Den Körper in Schichtbilder zu zerlegen ist jedoch nicht so einfach. Beschießt man ein Körperteil mit Radiowellen (und ruft „Marco?“), dann schreien alle Atomkerne im Chor „POLO!“ zurück. Daraus lernen wir rein gar nichts über die dreidimensionale Struktur des Körpers – wir erhalten wieder nur ein Projektionsbild. Wie also lassen sich die Stimmen der Atomkerne voneinander trennen?

Rosen sind (1,0,0), Veilchen sind (0,0,1)

Wir brauchen eine Möglichkeit, die Atomkerne voneinander zu unterscheiden. Eine anschauliche Methode wäre es, die Atomkerne mit unterschiedlichen Farben zu kennzeichnen. In drei Dimensionen können wir das ordentlich und systematisch mithilfe des RGB-Farbraums erledigen.

RGB-Würfel
RGB-Würfel. Die Werte auf der x-, y- und z-Achse geben den Rot-, Grün- und Blauanteil einer Farbe an.

RGB steht für die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau. Jede Farbe lässt sich aus diesen drei Grundfarben zusammen mischen. Deshalb können wir alle möglichen Farben in einem Farbwürfel darstellen. Die x-, y- und z-Achse bezeichnen den Anteil der drei Farben Rot, Grün und Blau. So lässt sich jede Farbe mithilfe dreier Koordinaten (Rot, Grün, Blau) darstellen. Die Farbe Rot hat die einfache Koordinate (1,0,0) und befindet sich an der unteren rechten Ecke des Würfels. Pink ist die Mischung aus Blau und Rot und hat damit die Koordinaten (1,0,1).

Rot, Grün, Blau sind alle meine Kleider

Das RGB-Prinzip nutzen wir jetzt, um Atomkerne voneinander zu unterscheiden. Nehmen wir als Beispiel einen Würfel von 3x3x3 Pirouetten-drehenden Ballerina-Atomkernen. Wir färben die Röckchen der Atomkerne entsprechen ihrer Position im RGB-Würfel ein und können sie damit eindeutig auseinanderhalten. Wenn wir jetzt „Marco?“ rufen, rufen alle Atomkerne in ihrer Farbe zurück. Leider können wir echten Atomkernen jedoch keine Röcke anziehen und sie tun uns auch nicht den Gefallen mittels bunter Sprechblasen zu kommunizieren.

Atomkerne im RGB-Würfel
In der Tomographie werden Atomkerne ihrer Position entsprechend ausgezeichnet. Hier zum Beispiel mit einer Rockfarbe entsprechend ihrer Position im RGB-Würfel.

Doch im Prinzip passiert bei der MR-Tomographie genau dasselbe: wir versuchen die x-, y- und z- (roten, grünen und blauen) Komponenten des Würfels aufzudröseln. Statt Farben werden jedoch Magnetfelder benutzt. In der MRT-Röhre herrscht ein starkes Magnetfeld, das den gesamten Körper umgibt. Das ist notwendig, um die Atomkerne zum Kreiseln zu bringen. Zusätzlich werden drei schwächere Magnetfelder angelegt, die entlang der drei Achsen (des Farb-Würfels) stärker und schwächer werden. Wir nennen diese drei Magnetfelder Gradientenfelder. Genauso wie der Rot-Anteil des Farbwürfels entlang der x-Achse zunimmt, so wird auch das („rote“) Gradientenfeld im MR-Tomographen entlang der x-Achse stärker.

Durch geschickte Kombination und Ein- und Ausschalten der Gradientenfelder lässt sich die Position der Atomkerne exakt aufschlüsseln. Das funktioniert, wie ich im Folgenden genauer erklären werde, in drei Schritten: Zuerst wird eine Schicht mit einem gewissen Rot-Anteil herausgegriffen, dann eine Zeile mit einem bestimmten Grün-Anteil und zuletzt eine Spalte mit einem gewissen Blau-Anteil. Übrig bleibt ein einziger Pixel, dessen Position (Farbe) wir genau kennen.

Rot: Wahl der Schicht

Der erste Schritt des Schnittbildverfahrens ist es (Überraschung) eine Schicht aus dem 3D-Körper herauszuschneiden. Wir beginnen mit der x-Richtung. Das heißt in unserem RGB-Bild, dass wir den Rot-Anteil des Atomkerns festlegen. Hierfür legen wir ein Gradientenfeld in x-Richtung an, das heißt das Magnetfeld wird in x-Richtung stärker. Dadurch ändert sich die Larmor-Frequenz der Atomkerne – die „roteren“ Atomkerne drehen sich also schwungvoller. Wählen wir einen „besonders roten“ Marco-Puls, wird er nur die schnell drehenden Atomkern-Kreisel mit hohem Rot-Anteil andrehen. Nur die Atome in dieser Schicht antworten uns mit ihrem Polo-Ruf, alle anderen bleiben stumm. Als Randnotiz: Die Radiowelle ist in der Realität nicht tatsächlich rot, sondern ihre Frequenz ist gleich der Larmor-Frequenz der Atomkerne einer bestimmten Schicht.

Auswahl der Schicht
Ein Gradientenfeld in x-Richtung erlaubt, nur Atome in einer bestimmten Schicht mit einem Radiopuls anzuregen. Alle anderen Atomkerne bleiben unverändert.

Grün: Auswahl der Zeile

Wir haben nun keinen Atom-Würfel mehr, sondern nur noch eine flache Scheibe. Alle Atomkern-Kreisel in dieser Scheibe drehen sich und werden immer, wenn sie uns ansehen, „Polo“ rufen. Um die Zeilen – also den Grün-Anteil – dieser Atomkerne auseinanderzuhalten legen wir, nachdem wir den Marco-Puls eingestrahlt haben, ein weiteres Gradientenfeld an, diesmal in y-Richtung. Wir verändern damit die Larmor-Frequenz der Atomkerne. Oder einfacher ausgedrückt: Die Atomkerne, die sich in einem stärkeren Magnetfeld befinden, drehen sich schneller als die Kerne im schwächeren Feld. Die Kerne in der oberen Zeile werden also öfter „Polo“ rufen als die Kerne in der unteren Zeile. Das Signal, dass die Atomkerne aussenden, wird von einem Computern aufgenommen und in verschiedene Frequenzanteile aufgeschlüsselt, sodass wir die Zeilen unterscheiden können.

Frequenzkodierung
Durch Anlegen eines zweiten Gradientenfeldes entlang der y-Richtung lässt sich die Frequenz des Ausgangssignals der Atomkerne entsprechend ihrer Zeile verändern.

Blau: Auswahl der Spalte

Die Auswahl der Spalte, also die Bestimmung des Blau-Anteils, funktioniert ganz ähnlich. Wir können jedoch nicht exakt den gleichen Trick verwenden. Das blaue und das grüne Gradientenfeld würden sich einfach überlagern und wir könnten die Position nicht mehr exakt bestimmen. Stattdessen schalten wir das blaue Gradientenfeld in z-Richtung nur ganz kurz ein. Die Atomkerne in der linken Spalte drehen sich dadurch nur ganz kurz schneller und erhalten somit einen Vorsprung gegenüber den Kernen in der rechten Spalte. Der Zeitpunkt, an dem uns die Atomkerne angucken und „Polo“ rufen ist also leicht versetzt. Wir nennen das Phasenverschiebung. Diese Information können wir mithilfe von Computern aus dem Signal herausrechnen und somit die Spalten richtig zuordnen.

Phasenkodierung
Ein drittes Gradientenfeld entlang der z-Richtung verschiebt die Phase der Atomkerne entsprechend ihrer Spalte.

26 M&Ms aus purem Gold

Die eben beschriebene Prozedur gibt uns die Information über einen Pixel des Bildes. Tatsächlich nicht einmal das, da für die Auswertung der Phaseninformation mehrere Durchläufe nötig sind. Ein MRT-Bild besteht aus tausenden Pixeln und daher dauert es viel länger ein MRT-Bild anfertigen zu lassen als ein Röntgenbild (15-30min im Vergleich zu einem Augenblick). Und es dauert nicht nur länger, es ist auch zehn oder sogar hundertmal so teuer wie ein Röntgenbild, das für den Schnäppchenpreis von 10 bis 50€ zu bekommen ist.

Der Grund für die hohen Kosten ist das starke Magnetfeld, das in der MRT-Röhre herrscht. Um ein gutes Signal zu bekommen muss die Larmor-Frequenz hoch und das Magnetfeld stark sein. Üblich sind Felder mit einer Stärke 1,5 bis 3 Tesla (nicht das Auto) – hunderttausend Mal stärker als das Erdmagnetfeld. Zur Erzeugung derart starker Magnetfelder werden Supraleiter benötigt, die nur nahe dem absoluten Nullpunkt (-273°C) funktionieren. Aufgrund der extremen Kühltemperatur ist das Kühlmittel, flüssiges Helium, entsprechend kostspielig. Pro Jahr kostet der Betrieb eines MR-Tomographen gut 15.500 Euro – dafür könnte man sich etwa 26 M&Ms aus purem Gold kaufen.

Techno aus der Röhre

Die Gradientenfelder hingegen sind etwa hundertmal schwächer als das globale Magnetfeld und werden von stromdurchflossenen Spulen erzeugt. Dafür werden mehrere hunderte Ampere Strom durch die Spulen gejagt (ein Handy läd mit etwa 2 Ampere). Auf die Ladung, die durch die Spulen fließt, wirkt aufgrund des vorherrschenden Magnetfeldes eine enorme Kraft, die 120-mal stärker ist als die Gravitationskraft. Die Spulen werden bei jedem An- und Ausschalten des Stroms hin- und hergerissen. Dabei fangen sie an zu vibrieren und das ist die Ursache für das laute Hämmern und Surren in der MRT-Röhre. Die Lautstärke kann dabei an die einer einrauschenden U-Bahn oder eines Rockkonzerts heranreichen.

Gradientenspulen in einer MRT-Röhre
Anordnung der drei Gradientenspulen-Paare (rot, grün und blau) im MR-Tomographen

Überhöhte Eintrittspreise, schlechte Musik, Ohrenstöpsel gegen den Lärm, wenig Bewegungsfreiheit und der gelegentliche Konsum von Beruhigungsmitteln – ein MRT-Gang hat also mehr mit dem Techno-Konzert gemein als ursprünglich angenommen. Und spätestens, wenn man sich Atomkerne als Ballerinen vorstellt gibt es in beiden Fällen ebenfalls: wilde Tänzer*innen und viele bunte Farben.


In diesem Artikel habe ich die MRT erklärt, die zu den Quantentechnologien der ersten Generation gehört. Vielleicht interessiert dich auch der Artikel zur ersten Quantenrevolution. Gefällt dir was du liest? Dann abonnier meinen Blog und verpass keinen neuen Beitrag mehr!


1 thought on “Techno in der Arztpraxis

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