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Kernspinresonanz (NMR) – der harmlose Röntgenblick

Die Physik und Medizin haben eine enge, doch wechselhafte Beziehung. Viele Entdeckungen der Physik gelten genau dann als großer Durchbruch, wenn sie medizinischen Nutzen bringen. Stethoskope nutzen Membranen zur Verstärkung akustischer Wellen, Thermometer nutzen die Wärmeausdehnung von Quecksilber zur Temperaturmessung, und die Sonografie nutzt Ultraschall, um einen ersten Blick auf das noch ungeborene Baby zu werfen. Doch manche Entdeckungen der Physik entpuppen sich als zweischneidiges Schwert. Röntgenstrahlen zum Beispiel ermöglichen einen Blick in den Körper, um Knochenbrüche zu erkennen und korrekt zu behandeln. Es gibt nur einen kleinen Nachteil: Röntgenstrahlen zerstören unseren Körper und können uns töten.

Röntgenproton

Röntgenstrahlen dringen in unseren Körper ein und werden von verschiedenen Geweben unterschiedlich stark abgeschwächt. Knochen lassen die Strahlung nicht so gut durch wie Muskeln, und werfen daher Schatten auf dem Röntgenbild. Röntgenstrahlen können, anders als sichtbares Licht, so tief in unseren Körper eindringen, weil sie sehr energiereich sind. Auf ihrem Weg schlagen sie jedoch eine Furche der Zerstörung durch unseren Körper und verursachen im schlimmsten Fall Krebs.

Radioproton

Doch glücklicherweise gehört es zum guten Ton der Wissenschaft, ständig neue Probleme zu finden (oder zu verursachen), die wir daraufhin wieder lösen können. Knapp 70 Jahre nach der Entwicklung von Röntgengeräten 1896 wurde die Magnetresonanztomographie erfunden – auch bekannt unter ihrem Spitznamen MRT. Sie kommt ohne schädliche Strahlung aus und benötigt zur Bildgebung lediglich Magnetfelder und Radiowellen – die harmlosere und unterhaltsamere Schwester der Röntgenstrahlen.

Das physikalische Prinzip hinter der MRT heißt Kernspinresonanz, oder kurz NMR für nuclear magnetic resonance. Bevor ich euch genauer erkläre, was der Kernspin ist und was für Resonanzen da eine Rolle spielen, hier die Grundidee der MRT: Röntgenstrahlen schlagen sich mit einer Machete durch den Körper und sobald die Klinge auf Widerstand trifft weiß man, dass ein Baum (oder Knochen) im Weg war. Die MRT hingegen ruft in den Wald hinein und horcht genau hin, ob ein Echo zurück kommt.

Tanzende Teilchen

Atom mit Elektronenhülle und Atomkern
Die Atomphysik beschäftigt sich mit den Eigenschaften der Elektronenhülle, die Kernphysik mit dem Atomkern und seiner inneren Struktur.

Um die Kernspinresonanz zu verstehen müssen wir einen kleinen Ausflug in die Kernphysik machen. Atome bestehen aus einer Elektronenhülle und einem Kern. Die Atomphysik beschäftigt sich mit den Eigenschaften der Elektronenhülle und nimmt den Kern als ein einzelnes Teilchen an. Die Kernphysik hingegen interessiert sich für des Pudels Kern. Der Atomkern besteht im einfachsten Fall aus nur einem einzelnen Proton, meist setzt er sich jedoch aus mehreren Protonen und Neutronen zusammen. Damit ist der Atomkern stets positiv geladen.

All diese fundamentalen Teilen – also Elektronen, Neutronen, Protonen und viele mehr – haben eine faszinierende Eigenschaft: sie wirbeln um ihre eigene Achse wie winzig kleine Ballerinen. Diese Eigenschaft heißt Spin. Er gibt bildlich gesprochen an, mit wie viel Schwung sich ein Teilchen um die eigene Achse dreht. Der Vollständigkeit halber möchte ich anmerken, dass dies nur ein Vergleich ist – der Spin ist eine quantenmechanische Größe und komplexer als eine einfache Drehung. Für die meisten Fälle, und auch für die NMR, ist das Bild von Pirouetten-drehenden Teilchen jedoch ausreichend. Den „Schwung“ einer Drehung nennt man in der Physik Drehimpuls. Alles, was sich dreht, hat einen Drehimpuls: eine Ballerina oder Eiskunstläuferin, die Pirouetten dreht; die Erde, die sich um ihre Achse dreht; oder wir, wenn wir uns auf Bürostühlen drehen.

Wenn der positiv geladene Atomkern aufgrund seines Spins Pirouetten dreht verhält er sich wie ein rotierender Stabmagnet.

Ein Atomkern besteht meist aus mehreren Protonen und Neutronen, die alle einen Spin haben. Der Kernspin, also die Summe der Spins aller Teilchen im Kern, in Kombination mit seiner insgesamt positiven Ladung führt zu dem Effekt, dass Atomkerne magnetisch sind. In der klassischen Physik ist seit langer Zeit bekannt, dass bewegte Ladungen ein Magnetfeld erzeugen. Um ein Stromkabel zum Beispiel, durch das Elektronen flitzen, entsteht immer auch ein Magnetfeld. Das gleiche gilt auch für Pirouetten-drehende Atomkernen.

Merke: Atomkerne haben eine positive Ladung und einen Spin – und damit verhalten sie sich wie rotierende Stabmagneten.

Präzise Präzession

Wir drehen uns noch etwas weiter. Für die NMR-Spektroskopie wird um die Atomkerne ein Magnetfeld angelegt. In diesem Feld verhalten sich die Spins der Atomkerne ganz genau wie Kreisel. Schauen wir uns den Kreisel also kurz etwas genauer an.

Kreisel und Präzession

Ein gewöhnlicher Spielzeugkreisel besteht meist aus Holz, ist symmetrisch, und läuft nach unten hin spitz zu. Balanciert man ihn auf seiner Spitze und lässt los, kippt er schlichtweg um. Dreht man ihn vorher jedoch kräftig an, wird er der Schwerkraft trotzen und aufrecht stehen bleiben. Dies hat er allein seiner Drehung, genauer gesagt seinem Drehimpuls, zu verdanken. Allmählich wird sich der Kreisel jedoch zur Seite neigen und die Schwerkraft sollte ihn einfach zu Boden ziehen. Doch statt umzukippen dreht sich der Kreisel seitlich weg und rotiert weiter. Diese Bewegung nennen wir Präzession. Erst lange Zeit später wird der Kreisel aufgrund von Reibungsverlusten umkippen (zumindest, wenn man sich nicht in einem Traum befindet).

Präzession von einem Kreisel, einem Magneten und einem Atomkern
Ein Kreisel im Schwerefeld der Erde, ein Magnet im Magnetfeld und ein Atomkern im Magnetfeld vollführen allesamt eine Präzessionsbewegung.

Genau wie ein Holzkreisel im Schwerefeld der Erde präzediert, so präzediert der Atomkern als magnetischer Kreisel im Magnetfeld. Und dies macht er mit einer ganz bestimmten Frequenz, die von der Stärke des äußeren Magnetfeldes und von der Atomsorte abhängt. Sie trägt den Namen Larmor-Frequenz und verrät uns viel über den Atomkern und sein Umfeld.

Merke: Im Magnetfeld präzediert der Spin des Atomkerns wie ein Kreisel, das heißt er dreht sich um die Magnetfeldachse.

Einmal Äquator und zurück

Während es unmöglich ist, einen Holzkreisel kopfüber an der Decke zu drehen, kann der Kernspin genauso gut nach oben wie nach unten zeigen. Wir geben die Richtung des Spins daher gern als Pfeil an, der auf einen beliebigen Punkt einer Kugeloberfläche deutet. Und beliebig ist er in der Regel auch – wenn die Atomkerne frei und ungezähmt sind, zeigt ihr Spin in eine willkürliche Richtung.

Befindet sich der Kern in einem äußeren Magnetfeld gibt es zwei spezielle Fälle. Zeigt der Spin zum Nordpol, steht er also parallel zum Magnetfeld, befindet er sich in seiner Ruheposition. Seine Energie ist minimal und er präzediert nicht. Im anderen Extremfall liegt der Spin auf dem Äquator der Kugel. Hier ist die Präzession am stärksten und der Spin wirbelt im Kreis. Alle anderen Positionen können als eine Mischung dieser beiden Extremfälle angesehen werden.

Parallele und senkrechte Komponente des Kernspins
Der Spin wird oft als Pfeil in einer Kugel dargestellt, deren Nord-Süd-Achse parallel zum äußeren Magnetfeld liegt. Zeigt der Spin zum Nordpol (links) befindet er sich in seiner Ruhelage. Liegt er auf dem Äquator (rechts) präzediert er auf dem Äquator im Kreis. Jede Position kann in eine ruhende (rot) und eine präzedierende (gelb) Komponente aufgeteilt werden (mitte).

Dieser Unterschied zwischen Ruhelage und aufgeregtem Kreiseln ist der Clou bei der NMR-Spektroskopie. Wenn der Spin am Nordpol ruht können wir ihn andrehen, indem wir ihm den nötigen Schwung geben. Wir wissen, dass der Spin mit der Larmor-Frequenz auf dem Äquator kreiseln wird, also müssen wir elektromagnetische Strahlen mit exakt dieser Larmor-Frequenz auf den Atomkern scheinen – nämlich Radiowellen. Ist die Frequenz der Radiowelle gleich der Larmor-Frequenz nennen wir sie resonant. Wie ein Kreisel sich nicht für immer dreht, so dreht sich jedoch auch der Kernspin nicht für immer. Nachdem der Kernspin für eine Weile seine Pirouetten gedreht hat, kehrt er langsam wieder in seine Ruhelage zurück. Da die Energie, die wir dem Atomkern zugefügt haben, aber nicht einfach verschwinden kann, wird sie in Form von Radiowellen wieder abgegeben.

Anregung, Präzession und Relaxation des Kernspins
Der Spin kann mithilfe von Radiowellen aus seiner Ruhelage ausgelenkt werden. Anschließend präzediert er für eine Weile auf dem Äquator bevor er langsam wieder zur Ruhe kommt. Hierbei wird Energie in Form von Radiowellen frei – die gleiche, die der Atomkern anfangs aufgenommen hat.

Merke: In der Ruheposition ist der Kernspin entlang des Magnetfeldes ausgerichtet. Mithilfe von Radiowellen kann er ausgelenkt und zur Präzession gebracht werden. Anschließend wird der Kernspin unter Aussendung von Radiowellen wieder in seine Ruhelage zurückwandern.

Marco Polo

Wie genau können wir diese An- und Abregung des Atomkerns nun für unsere Zwecke benutzen? Wie können wir damit in den Körper reingucken? Die Grundidee ist: Wir bestrahlen das Köperteil, dass wir uns ansehen wollen – zum Beispiel den Kopf – mit Radiowellen und schauen, ob die Atomkerne Radiowellen zurücksenden. Wir rufen „Marco“ und warten, ob die Atomkerne „Polo“ rufen. Wenn alle Atomkerne in unserem Kopf gleichermaßen Polo rufen lernen wir aber nichts. Es kommt darauf an, welche Atomkerne Polo rufen, und wie laut.

Wichtig ist, dass die Larmor-Frequenz des Atomkerns von der Atomsorte abhängt. Wasserstoff dreht sich schneller als Sauerstoff, Kohlenstoff dreht sich schneller als Sauerstoff. Auf eine Radiowellen mit der Larmor-Frequenz von Wasserstoff wird also nur Wasserstoff reagieren und nichts anderes. Genau dies wird in der MRT gemacht, da Wasserstoff eines der häufigsten Atome im menschlichen Körper ist und besonders stark auf Magnetfelder reagiert. MRT Bilder zeigen also nicht wie Röntgenbilder die Gewebedichte, sondern die Dichte von Wasserstoffkernen.

Außerdem hängt die Larmor-Frequenz vom äußeren Magnetfeld ab. Das ist für alle Atome gleich, da das Magnetfeld in der MRT-Röhre den gesamten Kopf umschließt. Wir erinnern uns jedoch, dass alle Atomkerne selbst kleine Magneten sind. Wenn also ein Wasserstoffatom neben einem Sauerstoffatom sitzt, werden sie gegenseitig ihr Magnetfeld spüren. Der Wasserstoffkern spürt also ein stärkeres Magnetfeld, wenn das Sauerstoffatom in der Nähe ist, als wenn es allein wäre. Mit seinem Polo-Ruf verrät uns der Atomkern also nicht nur, welcher Sorte er selbst angehört, sondern auch, wer sonst noch alles in der Nähe ist!


Die MRT schafft es also nicht nur ohne schädliche Strahlung in den Körper schauen, sie gibt uns auch viel mehr Informationen als ein einfaches Röntgenbild. Wir können uns gegenseitig in den Kopf und auch ins Herz schauen. Hierbei müssen wir uns nicht mit einem einfachen, flachen Foto begnügen, sondern die MRT ermöglicht die Aufnahme von dreidimensionalen Bildern in Echtzeit.  Wie genau das funktioniert, und warum eine MRT Röhre eigentlich so einen Krach macht, erkläre ich euch hier!


In diesem Artikel habe ich die MRT erklärt, die zu den Quantentechnologien der ersten Generation gehört. Vielleicht interessiert dich auch der Artikel zur ersten Quantenrevolution. Willst du wissen wie es weiter geht? Dann abonnier meinen Blog und verpass keinen neuen Beitrag mehr!


Quellen:
e-MRI: Online-MRT-Kurs
Grundlagen der MRT

1 thought on “Kernspinresonanz (NMR) – der harmlose Röntgenblick

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