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Der Nobelpreis: Wenn Forscher*innen Stars werden

Die Nobelpreis-Woche ist vorbei. Die eine Woche im Jahr, in der Wissenschaftler Stars der Medien sind und sich gefühlt jeder für Forschung interessiert. Würden Wissenschaftler täglich wie Musiker oder Filmstars gefeiert und auf Postern in Teenie-Magazinen abgedruckt werden – unsere Welt würde sicher deutlich anders aussehen. Doch bis es soweit ist müssen wir uns mit dieser einen Woche des Ruhms begnügen.

Nobels noble Idee

Der Nobelpreis

Der Nobelpreis wurde nach dem schwedischen Erfinder und Chemiker Alfred Bernhard Nobel benannt. Neben dem Nobelpreis tragen auch ein Element, das Nobelium, und eine Lorbeerpflanze, die Nobeliodendron, seinen Namen. Nobel war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, und als er 1896 starb vermachte der Mann der Wissenschaft 94% seines 31 Millionen Kronen schweren Vermögens der Wissenschaft. Er verfügte, dass fortan jährlich die größten Verdienste in Physik, Chemie, Medizin, Literatur und zum Wohle des Friedens ausgezeichnet werden sollten. Die Nobelstiftung legte das Vermögen an diversen Stellen an und es beträgt heute knapp 3 Milliarden Kronen (290 Millionen Euro). Jährlich werden ca. 120 Millionen Kronen (11.5 Millionen Euro) für die Nobelpreisverleihung ausgegeben: Das Preisgeld für jede Kategorie beträgt 10 Millionen Kronen (962.000 Euro), 20 Millionen Kronen gehen für die Nobelpreis-Party drauf, und der Rest wird für Verwaltung, Symposien, Organisation und ähnliches ausgegeben.

Eine nobler Gedanke. Doch so viel Vermögen sammelt man selten durch wohltätige Arbeit an. Nobel hat im Laufe seines Lebens 355 Erfindungen patentiert – eine davon ist das Dynamit. Während seiner Experimente kam es zu etlichen Unfällen, bei denen unter anderem sein Bruder Emil starb. Etwa ein Jahrzehnt vor Nobels Tod kam es zu einer Verwechslung: als sein Bruder Ludvig starb schrieb eine französische Zeitung fälschlicherweise einen Nachruf auf Alfred Nobel. Er hatte den Titel „Le marchand de la mort est mort“ („Der Kaufmann des Todes ist tot“). Nobel war entsetzt über das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte. Der Nobelpreis war vielleicht ein Mittel Nobels, sein schlechtes Gewissen zu besänftigen.

Verschmähte Herzen und schmachvolle Forschung

Viele fragen sich, warum es keinen Nobelpreis für Mathematik gibt. Hier gibt es mehrere Theorien. Am wahrscheinlichsten ist, dass der praktisch veranlagte Nobel die Mathematik als „Hilfswissenschaft“ und damit als unwichtig angesehen hat. Einer anderen Theorie zufolge hat eine Angebetete Nobels sein Herz gebrochen, als sie ihn zugunsten eines Mathematikers zurückgewiesen hat. Die Mathematik selbst grämt sich jedoch nicht darüber, sondern hat ihren eigenen Nobelpreis: die Fields-Medaille ist zwar weniger hoch dotiert, aber unter Mathematikern ebenso hoch angesehen.

Neben der Fields-Medaille hat der Nobelpreis noch zu einem anderen Preis inspiriert: dem Ig-Nobelpreis. Der Name ist ein Wortspiel aus Nobels Namen und dem englischen Wort ignoble, das schmachvoll oder unwürdig bedeutet. Entgegen dieses Namens ist der Ig-Nobelpreis jedoch keine Schand-Medaille wie etwa die Goldene Himbeere in Hollywood. Ausgezeichnet werden unnütze, skurrile oder unterhaltsame Forschungsleistungen in zehn verschiedene Kategorien, jedoch nicht jedes Jahr für die gleichen.

Der Ig-Nobelpreis wurde beispielsweise für die Untersuchung vergeben, ob Katzen sowohl Festkörper als auch Flüssigkeiten sind (Physik 2017), für die Widerlegung der 5-Sekunden-Regel bei heruntergefallenem Essen (Öffentliche Gesundheit 2004) und für den Nachweis, dass Schimpansen im Zoo genauso häufig Menschen imitieren wie umgekehrt (Anthropologie 2018). Bei schlechter Laune empfehle ich das Lesen der Ig-Nobelpreis-Liste, sie ist grandios. Es gibt übrigens einen Menschen, Andre Geim, der sowohl den Nobelpreis (in Physik für die Erforschung von Graphen) als auch den Ig-Nobelpreis (ebenfalls in Physik für sein Experiment, mit dem er einen Frosch mithilfe eines Magneten zum Schweben gebracht hat) gewonnen hat. Dass es sich bei dem Ig-Nobelpreis ebenfalls um Satire handelt zeigt der diesjährige Preis für Medizinische Lehre. Er ging an neun Politiker, darunter Donald Trump, „für die Nutzung der COVID-19-Pandemie, um der Welt zu zeigen, dass Politiker einen unmittelbareren Einfluss auf Leben und Tod haben können als Wissenschaftler und Ärzte“.

Einsame Wölfinnen

Kommen wir vom diesjährigen Ig-Nobelpreis zum Nobelpreis. Der Physik-Nobelpreis ging dieses Jahr an drei Wissenschaftler*innen für die Forschung an schwarzen Löchern. Ja, ich bin froh „Wissenschaftler*innen“ schreiben zu können, denn bereits zwei Jahre nach Donna Strickland wurde erneut eine Frau ausgezeichnet. Damit gibt es vier Physik-Nobelpreisträgerinnen: Andrea Ghez (2020), Donna Strickland (2018), Maria Goeppert-Mayer (1963) und Marie Curie (1903). Der Nobelpreis für Physik wurde seit 1901 114-mal an insgesamt 215 Personen vergeben. Damit sind wir bei 1.9% und dem niedrigsten Frauenanteil aller fünf Nobelpreis-Kategorien.

Viele denken, dies sei kein bloßer Zufall und liege nicht allein am niedrigen Frauenanteil in der Physik. Der Nobelpreis erntet Kritik, dass er „überraschend“ häufig an weiße Männer vergeben wird. 1903 sollte eigentlich nur Pierre Curie zusammen mit Antoine Henri Becquerel für die Entdeckung der Radioaktivität ausgezeichnet werden. Nur auf Pierre Drängen, dass seine Frau einen ebenso großen Anteil an der Forschung hatte wie er, wurde der Preis zur Hälfte an Becquerel, und zu je einem Viertel an Pierre und Marie Curie vergeben.

2018 gab es eine große Debatte um Donna Strickland und ihren Nobelpreis. Verliehen wurde er für die Entwicklung neuer Methoden im Bereich der Laserphysik, zur Hälfte an Arthur Ashkin und zu je einem Viertel an Donna Strickland und ihren Doktorvater Gérard Mourou. Da liegt auch schon der Knackpunkt: Die besagte Methode haben die beiden vor 30 Jahren entwickelt, als Strickland noch Doktorandin Mourous war. Doktoranden arbeiten hart und leisten einen großen Teil der Forschungsarbeit, doch die Ideengeber sind in den meisten Fällen die Betreuer. Manch böse Zunge fragt, ob Strickland für das bisschen Knöpfe drehen wirklich den Nobelpreis verdient hat. Selbst im Porträt zum Nobelpreis eines Physik Magazin wurde Mourou besonders herausgestellt und Strickland nur im Nebensatz erwähnt. Bis zur Verleihung hatte Strickland nicht einmal einen Wikipedia-Eintrag.

Teamwork

Hier tut sich ein weiteres Problem des Nobelpreises auf: es dürfen nur maximal drei Personen ausgezeichnet werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts mag das noch zeitgemäß gewesen sein. Koryphäen wie Wilhelm Röntgen (der den allerersten Nobelpreis erhalten hat), Max Planck, Albert Einstein oder Niels Bohr haben ihre Forschung nahezu im Alleingang durchgezogen (wobei selbst das in vielen Fällen zweifelhaft ist). Scrollt man durch die Liste der frühen Nobelpreise liest man oft die Phrase „für den Effekt, der nach ihm benannt wurde“ (siehe Röntgenstrahlung, Plancksches Strahlungsgesetz, Einstein Koeffizienten, Bohrsches Atommodell). Doch heutzutage funktioniert Forschung anders. Forschung ist eine Teamleistung und kann nicht drei Personen – geschweige denn einer einzelnen – zugeschrieben werden.

Beste Beispiele sind die Gravitationswellendetektion 2017 und die Entdeckung des Higgs-Bosons 2013. LIGO und das CERN, die Forschungseinrichtungen, an denen diese beiden Entdeckungen gemacht wurden, beschäftigen hunderte oder gar tausende Wissenschaftler. Eine der Veröffentlichungen zur Entdeckung des Higgs Bosons brach einen neuen Rekord mit 5154 Autoren – auf die acht Seiten Forschung folgten 24 Seiten Autorenliste. Einer der Autoren ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits verstorben. Ein unwahrscheinliches Ereignis das allein aufgrund von Statistik und der Autorenzahl nicht mehr überrascht. Die Frage ist: Wer dieser 5154 Forscher verdient den Nobelpreis?

Auch dieses Jahr wurde der Nobelpreis an die maximal erlaubten drei Forscher*innen vergeben. Er ging an Roger Penrose, Reinhard Genzel und Andrea Ghez. Wie auch im Falle von Donna Strickland erhielt die Forscherin ein Viertel des Preises. Genzel und Ghez teilen sich eine Hälfte des Preises für die Entdeckung des schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße. Roger Penrose ist der Mathematiker und theoretische Physiker im Bunde. Er erforschte die Folgen Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie und bewies, dass schwarze Löcher existieren können. Das ist nun 55 Jahre her. Die Idee des Nobelpreises war, die größten Erfolge des letzten Jahres auszuzeichnen – ein Konzept, das nicht angewendet wird und auch nicht angewendet werden kann. Es dauert oft Jahrzehnte, bis sich herausstellt, ob eine Entdeckung bahnbrechend oder schlichtweg korrekt war. Interessant, dass manche Regeln in Stein gemeißelt und andere locker über Bord geworfen werden.

Bronze, Silber, Gold

Mit den schwarzen Löchern, den Exoplaneten vom letzten Jahr und den Gravitationswellen von 2017 scheint es, als würde die Astrophysik den Nobelpreis sehr dominieren. Ganz zu meinem Verdruss als Quantenphysikerin. Ich war neugierig und habe nachgezählt: Überwältigender Sieger ist die Teilchenphysik mit 41 Auszeichnungen seit der Einführung des Nobelpreises. Hierzu gehört auch das berühmte Gottesteilchen von Higgs. Es folgen die Quantenphysik mit 18 Preisen und die Astrophysik mit 15. Diese Zahlen sind Ungefähr-Werte, denn es ist manchmal schwer zu sagen, in welche Kategorie ein Preis fällt. Leider steht der Trend nicht sehr gut für die Quantenphysik. Ihre Blütezeit hatte sie zwischen 1918, als Max Planck den Nobelpreis für die Entdeckung der Quanten erhielt, und den 60er Jahren, mit Richard Feynman und der Entwicklung der Quantenelektrodynamik. Die Astrophysik hingegen hatte den Einzug erst 1936 mit der Entdeckung kosmischer Strahlung, legte aber in den letzten zwei Jahrzehnten ordentlich zu.

Verteilung der Nobelpreise
Die meisten Nobelpreise gingen an die Teilchenphysik (hier ein glückliches Gluon und ein immer-depressives Elektron). Auf dem zweiten Platz die Quantenphysik mit ihrem Vertreter dem Welle-Teilchen-Photon. Auf dem dritten Platz die Astrophysik mit einem Planeten und dem jüngst zum Nobel-Team gestoßenen schwarzen Loch.

Wineland und Haroche

Der letzte Nobelpreis für Quantenphysik – während wir auf den langersehnten Durchbruch der Quantentechnologie warten – ging 2012 an David Wineland und Serge Haroche für ihre Experimente zur Zähmung von Quantensystemen. Diese Idee habe ich bereits in meinem Artikel zur Quantentechnologie 2.0 erklärt und tatsächlich bildet die Arbeit von Wineland und Haroche das Fundament für viele Bereiche der Quantentechnologie. Wineland entwickelte Methoden Ionen zu fangen und zu kontrollieren. Haroche verwendet Atome, um einzelne Photonen zu fangen, zu manipulieren und sogar ihre Entstehung zu beobachten. Er kommt vom Collège de France und der Ecole Normale Supérieure (ENS) in Paris. Die ENS ist eine elitäre Einrichtung, die weniger als 250 Studierende pro Jahr zulässt. Dank dieser selektiven Auswahl kommt sie auf 1.35 Nobelpreisträger pro 1.000 Studierende und liegt damit noch vor dem Caltech und Harvard auf Platz 1.

Dieser spezielle Nobelpreis hat für mich eine besondere Bedeutung, weil ich das Glück habe seit mehr als vier Jahren mit der Gruppe von Serge Haroche zusammenzuarbeiten. Tatsächlich bin ich gerade in diesem Moment in Paris und tagtäglich in dem Labor, in dem Serge Haroche seine bahnbrechenden Experimente durchgeführt hat. Gerade erst gestern ist Haroche persönlich an meinem Büro vorbeigeschlurft. Versteht mich nicht falsch – ich bin Theoretikerin und die einzigen praktischen Dinge, die ich in diesem Labor gemacht habe, waren eine Glühbirne zu wechseln, einen Computerbildschirm anzuschließen, und tausend winzige Schrauben per Hand nach Größe in einen Kasten zu sortieren, nachdem der Doktorand des Labors am ersten Tag seiner Promotion eben diesen Kasten mit tausend winzigen Schrauben auf den Boden geschmissen hat. Ich versichre euch, sowas schweißt zusammen. Nach zwei Stunden Schrauben sortieren und drei Jahren gemeinsamer Promotion sind wir noch heute Freunde.

Ich im Labor von Serge Haroche am Collège de France in Paris
Ich – ehrfürchtig – im Labor von Serge Haroche am Collège de France in Paris

Mein erstes Seminar im Bachelorstudium galt einem Experiment von Serge Haroche. Für meine Bachelorarbeit habe ich eine theoretische Beschreibung für ein anderes seiner Experimente entwickelt. Meine Masterarbeit, meine erste wissenschaftliche Veröffentlichung und der Großteil meiner Doktorarbeit sind in enger Zusammenarbeit mit dieser Gruppe entstanden. Ich habe mir das Buch von Serge Haroche gekauft und mich bis heute nicht getraut ihn nach einem Autogramm zu fragen. In meiner Wohnung hängt das Nobelpreis-Poster von Haroche und Wineland an der Wand. Mich haben diese Experimente vom Bachelor zur Promotion gebracht und regelmäßig meine Faszination für die Quantenphysik angefacht. Ich hoffe, dass weitere Nobelpreise das gleiche für künftige Generationen von Wissenschaftler*innen tun und, dass sie nicht erst Mails nach Schweden schicken müssen, um an Poster ihrer Vorbilder zu kommen. 2008 hat die Bravo ein Poster von Barack Obama herausgebracht. Wann kommt das Poster von Andrea Ghez?


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