Close

Nobelpreis 2023: Von sexy Sardellen und kurzen Filmen

Wie jedes Jahr habe ich wieder gespannt die Nobelpreisverleihung verfolgt! Vermutlich hattet ihr in der Zwischenzeit bereits die Zeit, euch die Preistragenden und ihre Themen anzusehen. Trotzdem möchte ich einen Überblick geben, worum es ging, warum es wichtig ist und was dieses Jahr so besonders an den Preisen war. Außerdem werfen wir auch einen Blick auf einen Preis, fast noch schöner als sein Vorbild: den Ig-Nobelpreis der Physik.

Der Ig-Nobelpreis für Physik: Von Frieden und sexy Sardellen

Fangen wir chronologisch an, mit dem Ig-Nobelpreis für Physik, der traditionell einige Wochen vor dem Nobelpreis verliehen wird. Das englische „ignobel“ bedeutet so viel wie „unehrenhaft“ und der Ig-Nobelpreis ist die satirische Variante des altehrwürdigen Nobelpreises. Er wird für Forschung verliehen, die erst zum Lachen und dann zum Denken anregt. Hier geht aber keineswegs um Scherze oder unlautere Forschung, sondern um waschechte, saubere Forschung, die lediglich skurril oder lustig anmutet. Jedes Jahr wird er in zehn wechselnden Kategorien vergeben. Die Physik ist aber fast immer mit dabei.

Ich freue mich jedes Jahr wieder auf die Ig-Nobelpreise, weil sie so schön wie kaum etwas anderes demonstrieren, dass Forschung auch lustig sein kann. So gab es den Preis in den letzten Jahren etwa für die Erforschung der Schwimmformation von Entenküken, den würfelförmigen Kot von Wombats oder die Aggregatzustände von Katzen.

Gleichzeitig ist der Preis aber auch nicht selten gesellschaftskritisch. Mein persönlicher Liebling: Der allererste Ig-Nobelpreis für Frieden ging im Jahr 1991 an den Physiker Edward Teller – den seit dem Film Oppenheimer bestimmt viele kennen. Er ist der Vater der Wasserstoffbombe und erster Befürworter des Star-Wars-Waffensystems, und erhielt den Preis „für seinen lebenslangen Einsatz, die Bedeutung des Wortes Frieden zu verändern“.

Der Ig-Nobelpreis für Physik 2023

Dieses Jahr ging der Ig-Nobelpreis für Physik an ein spanisch-schweizerisches-französisch-englisches Team von Forschenen – Bieito Fernández Castro, Marian Peña, Enrique Nogueira, Miguel Gilcoto, Esperanza Broullón, Antonio Comesaña, Damien Bouffard, Alberto C. Naveira Garabato und Beatriz Mouriño-Carballido. Sie maßen die Änderung der Zusammensetzung von Meerwasser in Abhängigkeit von der sexuellen Aktivität von Sardellen. Ja, auch Sardellen sind sexuell aktiv und sie verändern damit das Meer!

Sardellen

„Dies ist die sexieste Recherche meines ganzen Lebens“, sagt die leitende Forscherin Mouriño-Carballido. Die Forscherin suchte ursprünglich nach Hinweisen darauf, wie die Umweltbedingungen das Wachstum von mikroskopischen Algen beeinflussen. Nachts konnte sie starke Turbulenzen und eine Durchmischung von Wasser beobachten. Eine Messung zeigte, dass Fisch-Aktivitäten dafür verantwortlich seien. Später fanden sie heraus, dass die Messdaten mit der sexuellen Aktivität von Sardellen übereinstimmte. In Netzen fanden sie Eier, die ihre Vermutung bestätigten.

Das Forscherteam konnten also zeigen, dass nicht nur Wind oder die Gezeiten eine effektive Durchmischung des Meerwassers möglich machen, sondern auch die Aktivität von Fischen, in diesem Fall das Liebesspiel von Sardellen.

Der Nobelpreis für Physik 2023

Wenige Wochen später, am dritten Oktober, wurde dann der „echte“ Nobelpreis für Physik verliehen. Hier war der Aufruhr groß, denn ein Forscher aus Deutschland war unter den Preisträgern! Der ungarisch-österreichische Physiker Ferenc Krausz vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching – wo ich auch schon war! – erhielt ein Drittel des Preises.

Was mich viel mehr freute: ein weiteres Drittel ging an die Französin Anne L’Huillier – die fünfte Frau, die mit einem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde! Sie forscht an der schwedischen Universität Lund und erhielt den Anruf in einer Vorlesung. Sie ging kurz hinaus, um die gute Nachricht entgegenzunehmen, und kehrte anschließend zurück und führte ihre Vorlesung zu Ende. Das ist wahre Hingabe für die Lehre!

Der dritte Preisträger Pierre Agostini ist Franzose und forscht in den USA. Was zeigt uns das? Niemand der Drei hat in seinem/ihrem Heimatland eine Anstellung gefunden. Es ist eine Frage der Perspektive, aber meiner Meinung nach ist dies eines der größten Mankos der Wissenschaft. Die Karriere ist nicht planbar, man muss eine Stelle dort annehmen, wo man sie bekommt und ob es einem dort gefällt, ist absolute Glückssache. Manche träumen von dieser Ungebundenheit, andere wollen sich lieber niederlassen. Letztere haben in der Wissenschaft, nun ja, Pech gehabt.

Molekulare Kurzfilme

Nach so viel Vorrede: Worum ging es nun im diesjährigen Nobelpreis? Den Preisträger:innen ist es gelungen, die Bewegung in Elektronen in der Hülle von Atomen und Molekülen darzustellen! Das lässt sich am besten mit einem Vergleich zur normalen Fotographie verstehen. Um ein Video aufzunehmen, werden sehr viele Bilder in kurzem Abstand voneinander gemacht. Wenn diese schnell genug abgespielt werden, sieht es aus, als würde sich das Bild bewegen.

Wichtig dabei ist, dass der Auslöser der Kamera schneller klickt, als sich das gefilmte Objekt bewegt. Wenn ich zum Beispiel in einer Sekunde hin- und herwippe, dann sieht es in einem Film, für den jede Sekunde ein Foto gemacht wurde, aus, als würde ich stillstehen. Damit ich diese Wippbewegung auflösen kann, muss ich schneller Fotos schießen, als ich mich bewege.

Muybridge Running Horse
Eadweard Muybridge ist Pionier der Fototechnik und beantwortete zuerst die Frage, ob ein Pferd jemals beim Laufen alle viere in der Luft hat.

Elektronen, die in der Hülle von Atomen und Molekülen umherschwirren, bewegen sich sehr viel schneller als ich: nämlich auf einer Zeitskala von Attosekunden! Eine Attosekunde ist eine extrem kurze Zeitspanne. In eine Sekunde passen eine Trillionen Attosekunden – genauso viele, wie Sekunden seit dem Beginn des Universums vergangen sind. In einer Sekunde legt Licht die Strecke zwischen Mond und Erde zurück, in einer Attosekunde die Länge eines Wassermoleküls.

Eine Attosekunde

Die diesjährigen Preisträger konnten Laserpulse herstellen, die nur wenige Attosekunden lang sind, um so die Bewegung von Elektronen aufzulösen. L’Huillier fand eine neue Methode, viele Wellen derart zu kombinieren, damit diese sehr kurzen Pulse erzeugt werden können. Agostini gelang es dann, eine Abfolge von diesen kurzen Pulsen herzustellen, wie jeweils nur 250 Attosekunden kurz waren. Krausz konnte einen isolierten Puls mit einer Länge von 650 Attosekunden erzeugen.

Ein tanzendes Elektron

Wichtig ist diese Technik, um etwa Moleküle zu untersuchen und die Bewegung ihrer Elektronen in Echtzeit zu verfolgen – zum Beispiel um Krankheiten zu untersuchen. Indem der „molekulare Fingerabruck“, also die spezifische Elektronenbewegung im Molekül, aufgenommen wird, könnten Veränderungen in Blutproben festgestellt werden. Damit entstehe ein neues Feld, die „Atto-Chemie“, in der das Verhalten der Elektronen in einem Molekül untersucht werden könne. L’Huilliers Traum sei es, mit dem Verfahren molekulare Reaktionen nicht nur zu beobachten, sondern auch zu kontrollieren.

Mehr zum Nobelpreis für Physik könnt ihr – ganz ohne Paywall – von mir auf Tagesspiegel.de nachlesen.

Der Nobelpreis für Chemie

Besonders war an diesem Chemie-Nobelpreis, dass er bereits Stunden vor der offiziellen Bekanntgabe geleakt wurde! Bereits morgens verbreiteten schwedische Medien, an wen der Preis gehen solle – dabei sollte sich offiziell erst bei einem Meeting eine Stunde später entscheiden, wer den Preis tatsächlich bekommen würde! Hups!

Bei der Bekanntgabe stellte sich heraus: Es war so gekommen, wie es prophezeit wurde. Zu meinem Glück. Chemie ist jedes Jahr ein schlecht planbarer Nobelpreis, wenn es darum geht zu entscheiden, wer in der Wissenschaftsredaktion nun den Preis zusammenfassen und in Windeseile einen Text schreiben soll. Wird es eher Medizin, Physik oder Hardcore-Chemie? Letztes Jahr war es das eine, dieses Jahr das andere: Quantenpunkte, ganz klar Physik. Die drei Forscher Moungi Bawendi vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Alexei Ekimov aus der Sowjetunion und der US-Amerikaner Louis Brus erhielten den Preis für ihre Entdeckung, dass sich die Welt auf kleinsten Skalen völlig anders verhält.

Treue Physicus Minimus-Leser:innen wissen das natürlich längst, denn auf kleinsten Skalen herrscht die Quantenphysik und dreht die Regeln der klassischen Physik ins Absurde. Dies ist nicht nur wahr für Atome, sondern auch für die Nanotechnologie. Ein Nanometer entspricht einem Milliardstel Meter – ein Nanometer verhält sich zu einem Meter wie eine Kaffeebohne zur Erde. Klein genug für die Quantenphysik, die Nanotechnologie aufzumischen.

Die drei Nobelpreisträger stellten sogenannte Quantenpunkte her und erforschten sie. Diese Partikel sind so klein, dass sie sich effektiv wie ein eindimensionales Objekt verhalten – wie ein Punkt. Deshalb können Elektronen in Quantenpunkten nur diskrete Energieniveaus einnehmen, ganz ähnlich wie in einem Atom. Das hat zur Folge, dass sie, wenn sie angeregt werden, Licht in bestimmten Wellenlängen aussenden. So leuchten Flüssigkeiten mit darin enthaltenen Quantenpunkten in verschiedenen Farben – trotz gleicher chemischer Beschaffenheit. Die Farbe hängt nur von der Größe der Partikel ab.

Quantenfernseher

Diese Technik kommt bei QLED-Fernsehern zum Einsatz. Das Q steht für Quantum. Quantenpunkte transformieren blaues Licht in rotes und grünes, um die drei Grundfarben zu erzeugen. Was ich besonders toll fand: Das blaue Licht stammt von der berühmten blauen Diode, für die es 2014 den Nobelpreis gab. Was kann die so dolles? Sie leuchtet blau – und noch dazu sehr effizient!

Mehr zum Nobelpreis für Chemie könnt ihr, auch ohne Paywall und auch von mir, auf Tagesspiegel.de nachlesen.


Ihr fragt euch vielleicht: Das klingt alles sehr physikalisch, warum gab es dafür den Nobelpreis für Chemie? Wie man diese Quantenpunkte herstellt, ist ein sehr chemischer Prozess. Hier sticht nun aber die Schönheit der diesjährigen Nobelpreise hervor: Den Chemie-Nobelpreis gab es für ein physikalisches System, das mit komplizierter Chemie hergestellt wird. Den Physik-Nobelpreis gab es für eine physikalische Methode, die in der Chemie zum Einsatz kommt. Das ist wahre Symbiose!


Vielleicht interessieren dich auch meine anderen Texte zum Nobelpreis 2022 über Quantenverschränkung und 2021 mit einem generellen Überblick.

Um keinen Beitrag zu verpassen, vergiss nicht meinen Blog zu abonnieren. Wenn dir gefällt, was du liest, kannst du mir hier einen Kaffee spendieren!


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.