Wer an Quantentechnologie denkt, denkt an Quantencomputer. Oder an Science-Fiction, Laserschwerter und halb tote Katzen. Aber Quantentechnologie ist mehr als die Jagd nach dem Quantencomputer. Bei der zweiten Quantenrevolution geht es darum, Grenzen zu durchbrechen und die kleinsten Bausteine der Natur zu zähmen. Was dabei herauskommt ist eine Technologie der Superlative: kleiner, schneller, sicherer, präziser. Und nicht zu vergessen: unverständlicher.
Doch der Weg zu Quantencomputer und Co. war weit. Die erste Quantenrevolution fand Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts statt. Man war gerade auf die Quantentheorie gestoßen, die die gesamte Physik in Aufruhr versetzte. Der neu entdeckte Welle-Teilchen-Dualismus hatte weitreichende Folgen für die Entwicklung von Technologie. Solarzellen, Mikrochips, Computer, Laser, GPS – all das verdanken wir der ersten Quantenrevolution. Doch die Technik hinter all diesen Geräten ist verhältnismäßig simpel. Eine Solarzelle habe ich (und vermutlich auch viele Andere) schon im Chemieunterricht gebastelt.
Heute befinden wir uns an einem Wendepunkt – in der zweiten Quantenrevolution. Statt die Form von Elektronenorbitalen nur zu berechnen, wollen wir Orbitale formen, die es in der Natur nicht gibt. Statt die Struktur von Atomen nur zu verstehen, wollen wir unsere eigenen Atome bauen. Statt mithilfe von Quantenphysik Technologie nur zu erklären, wollen wir ihr Potential voll ausschöpfen. Wir sehen die Natur nicht mehr als Legokiste, sondern kneten die Welt, wie sie uns gefällt.
Moores Gesetz
Neben reiner Neugier von Physiker*innen hat diese Entwicklung auch sehr praktische Gründe: unsere Technologie stößt an ihre Grenzen. Tatsächlich ist dies nicht nur ein schwammiges Gefühl, sondern es lässt sich konkretisieren, mithilfe von Moores Gesetz.
Gordon Moore ist ein amerikanischer Wissenschaftler und Mitbegründer von Intel. 1965 machte er eine Beobachtung, die die Entwicklung der Technologie bis heute prägen sollte. Der Mikrochip war 7 Jahre zuvor entwickelt worden und Moore studierte den Trend der Forschung. Er entdeckte:
Die Anzahl der Transistoren, die auf einen Mikroprozessor bestimmter Größe passen, verdoppelt sich etwa alle zwei Jahre.
Moores Gesetz
Beeindruckend, nicht wahr? Okay, lasst mich erklären.
Der Transistor
Ein Transistor ist das Herzstück eines Prozessors; es ist der Teil, der rechnet. Man könnte sagen, was die Neuronen fürs Gehirn sind, sind die Transistoren für den Prozessor. Moore sagt, die Zahl der Transistoren pro Chip verdoppelt sich alle zwei Jahre. Im Umkehrschluss heißt das, die Größe eines Transistors halbiert sich. Die Größe des Chips bleibt bei diesem Vergleich natürlich gleich groß, denn sonst könnte man die Größe des Chips verdoppelt und wäre fertig – das ist natürlich nicht gemeint. Moore stellte also fest, dass es Forschern im Schnitt alle zwei Jahre gelingt, alle Transistoren auf einem Chip in zwei Teile zu zerlegen, wobei jeder der neuen Transistoren genauso stark ist wie der vorherige.
Ein paar Randbemerkungen dazu. Moores Gesetz ist natürlich kein Gesetz im eigentlichen Sinne; es ist eine Beobachtung. Außerdem bedeutet eine Verdopplung an Transistoren nicht zwangsläufig, dass sich auch die Rechenleistung verdoppelt. Ein kleinerer Transistor ist nicht immer genauso gut wie sein großer Bruder. Und zuletzt sollte man noch einmal einen Moment innehalten und über die Bedeutung von Moores Gesetz nachdenken. Es bedeutet, dass die Forschung rasend schnell voranschreitet, und dass die Rechenleistung von Computern exponentiell wächst (das Wort „exponentiell“ ist spätestens seit Corona wohl den meisten geläufig).
Wunder und Zukunftsvisionen
Moores Essay ist im April 55 Jahre alt geworden und liest sich ein bisschen wie Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“. 1870 geschrieben, entwarf Vernes eine Welt mit Elektrizität, U-Booten, und Flugzeugen die der tatsächlichen Zukunft verblüffend nahekam. 1965 – als Computer noch ganze Schränke gefüllt haben – erkannte Moore einen Trend. In seinem Essay sagte er Wunder voraus: Heimcomputer, automatische Steuerungen für Autos und „persönliche tragbare Kommunikationsgeräte“. Letzteres nennen wir heute Handy.
Moores Gesetz, das laut ihm den Trend der nächsten 10 Jahre beschreiben würde, hat ein halbes Jahrzehnt seine Gültigkeit bewahrt. Doch es hat die Entwicklung in der Halbleiterindustrie nicht nur vorausgesagt, es hat sie angetrieben. Es ist kein Zufall, dass CPU-Entwickler alle zwei Jahre neue, bessere Modelle auf den Markt bringen. Man wollte Moores Gesetz gerecht werden. Es war eine selbsterfüllende Prophezeiung. Doch seit ein paar Jahren gerät die rasante Fahrt ins Stocken – Moores Gesetz steht vor seinem Ende.
Das Problem ist die Größe der Bauteile. Jegliche Materie besteht aus Atomen und irgendwann ist ein Bauteil so klein, dass es nur noch aus wenigen – oder sogar einzelnen – Atomen besteht. Das mag extrem klingen, doch genau da sind wir angekommen. Und in der Welt der Atome regiert die Quantenphysik, die alles ordentlich durcheinanderbringt.
Die vier Säulen der Quantentechnologie
Eines der Hauptanliegen der zweiten Quantenrevolution ist, Technologie kleiner zu machen. Hierfür brauchen wir die Quantenphysik, weil es auf „normalem“ Wege nicht mehr geht. Das andere Anliegen ist, Technologie besser zu mache. Ein Beispiel dafür ist in der Tat der Quantencomputer. Doch es gibt noch so viel mehr! Lasst mich euch die vier Säulen der Quantentechnologie vorstellen.
Quantencomputing
Der Quantencomputer ist die Galionsfigur der Quantentechnologie. Vermutlich, weil er viele der anderen Probleme direkt mit lösen kann. Ein normaler Computer rechnet mit Bits, also Nullen und Einsen. Jedes Problem eines Computers – vom Taschenrechner bis zum Computerspiel – wird in viele Rechenoperationen zerlegt, die mit Nullen und Einsen jonglieren. Ein Quantencomputer gibt sich aber nicht nur mit Nullen und Einsen ab – er kennt auch alles dazwischen; in Form von Superpositionen. Der Clou eines Quantencomputers ist, dass er viele Rechnungen gleichzeitig ausführen kann, statt mühselig nacheinander. Dadurch ist der Quantencomputer (exponentiell!) schneller und unmögliche Rechnungen werden möglich.
Quantensimulation
Ein Quantencomputer kann im Prinzip jedes Problem lösen – man muss es nur richtig beschreiben. Statt mit einem Quantencomputer auf ein Problem zu knüppeln, kann man aber auch versuchen, es eleganter zu lösen. Das ist die Grundidee der Quantensimulation.
Das wichtigste Werkzeug von Physiker*innen sind Experimente. Im einfachsten Falle kann man Experimente direkt an dem Objekt durchführen, das einen interessiert. Wenn ich wissen möchte, wie schnell ein Gegenstand fällt, dann lasse ich ihn fallen und messe die Zeit. Erledigt. Aber was, wenn das System, über das ich etwas lernen möchte, zu kompliziert ist oder ich es nicht beeinflussen kann? Das Sonnensystem zum Beispiel. Wie machen Astrophysiker Experimente? Sie können schlecht die Anordnung der Planeten ändern und gucken, was passiert. Stattdessen bauen sie Modelle des Sonnensystems und untersuchen stattdessen diese.
Genau das gleiche passiert in der Quantensimulation. Statt ein großes, kompliziertes System direkt systematisch zu untersuchen – was oft schlichtweg unmöglich ist – baue ich ein kleineres Modell, das ich kontrollieren kann. Das kleine Quantensystem spielt, es wäre das große. In der Welt der Quantenphysik hat das Ganze außerdem einen weiteren Vorteil: Statt einem klassischen Modell die Regeln der Quantenphysik beizubringen, baue ich ein Modell aus Quantenteilen, die sich von allein quantenmechanisch verhalten. Der Quantensimulator übernimmt die ganze Arbeit für mich; ich muss mich nur zurücklehnen und warten was rauskommt. Einen Quantensimulator für ein spezielles Problem zu entwickeln ist einfacher, als einen Quantencomputer zu bauen. Der Nachteil ist jedoch, dass der Quantensimulator nur für dieses spezielle Problem funktioniert. Für andere Probleme ist er nutzlos.
Quantenkommunikation
Wir beobachten Quanteneffekte im Alltag nicht, weil Quantenzustände kleine Diven und sehr zerbrechlich sind. In vielen Bereichen ist das schlecht, aber für die Quantenkommunikation ist es der Schlüssel zum Erfolg.
Stell dir vor, du möchtest eine Nachricht verschicken und benutzt dafür eine Flaschenpost. Jemand könnte die Flasche abfangen, die Nachricht lesen, sie zurück in die Flasche stecken und ihres Weges schicken. Weder du noch der Empfänger würden je wissen, dass jemand die Nachricht gelesen hat. Es gibt aber Mittel und Wege deine Nachrichten zu schützen. Du könntest die Flasche zum Beispiel mit einem Wachssiegel verschließen oder die Nachricht verschlüsseln. Doch die Gegenseite ruht nicht, und mit der Komplexität der Verschüsselungstechniken steigt auch das Geschick der Abhörer.
Eine absolut sichere Methode, die Nachricht in der Flasche zu schützen, wäre, sie auf einem Papier zu notieren, das in Flammen aufgeht, sobald man es liest. Das ist die Grundidee der Quantenkryptographie, einem Teilgebiet der Quantenkommunikation. Nachrichten werden mithilfe von Quantensystemen übermittelt, zum Beispiel in Form von Photonen. Aufgrund der Art und Weise, wie die Nachricht verschlüsselt wurde, ist es unmöglich, exakt die gleiche Nachricht weiterzuschicken, nachdem sie ausgelesen wurde. Dadurch wird Nachrichtenübermittlung 100%ig abhörsicher.
Quantenmetrologie
Das wohl am wenigsten bekannte Gebiet der Quantentechnologie ist die Quantenmetrologie. Hierbei geht es nicht um Wettervorhersagen, sondern um Messungen (Metrologie wie Messtechnik, nicht Meteorologe wie Wetter). In vielen Bereichen des (mehr oder weniger) alltäglichen Lebens werden hochpräzise Messungen benötigt. Allen voran die Quantentechnologie selbst. Wenn mit solchen Sensibelchen wie Quantensystemen gearbeitet wird, reicht es nicht mehr aus, die Stärke von umherirrenden magnetischen oder elektrischen Feldern pimaldaumen zu bestimmen. Man kann die Empfindlichkeit von Quantensystemen jedoch in einen Vorteil verwandeln, wenn man sie nutzt, um die Stärke von diesen Größen mit hoher Präzision zu bestimmen.
Ein aktuelles Beispiel für sehr präzise Messungen ist die Detektion von Gravitationswellen, wofür es 2017 den Nobelpreis gab. Die Präzision des LIGO-Detektors für Gravitationswellen kann mit Methoden der Quantenmetrologie erheblich verbessert werden. Dies ist auch ein schönes Beispiel, dass Quantentechnologie nicht immer klein ist. Die zwei Observatorien von LIGO sind 3000 km voneinander entfernt und jeder Messapparat hat eine Länge von 4 km. Mit diesem Gerät lassen sich Längenunterschiede von einem Tausendstel Protonenradius messen – empfindlich genug, um die Auswirkungen von Gravitationswellen zu spüren.
Diese Aufzählung soll nur einen groben Überblick über die Bereiche der Quantentechnologie geben – jeder der vier Punkte verdient einen eigenen Artikel. Eines haben sie jedoch gemeinsam: sie sind noch nicht ausgereift. Sie sind Gegenstand aktueller Forschung und existieren höchstens in Laboren unter extremen Bedingungen. Im Gegensatz zu Technologien der ersten Quantenrevolution gibt es sie also noch nicht im Hosentaschenformat oder in eurem Haushalt. Teilweise ist sogar (noch) unsicher, ob es sie jemals geben wird. Aber wir sind optimistisch! Wer hätte vor 70 Jahren gedacht, dass wir heute alle kleine Hochleistungscomputer in der Hosentasche tragen und Laser zu Hause haben, um erstaunlich realistische Filme über sprechende Löwen zu schauen?
Zusammenfassend lässt sich sagen: Moores Gesetz ist vielleicht am Ende, aber die Technologie ist es nicht. Statt zu versuchen, eine Vorhersage aus den 70er Jahren zu erfüllen, findet ein Wandel statt. Statt auf Größe konzentriert man sich auf wichtigere Dinge: Leistung, Sicherheit, Präzision. Doch vielleicht ist die Quantentechnologie auch nur ein nützliches Nebenprodukt naturwissenschaftlicher Neugier. Was ist möglich? Wie weit können wir gehen? Geht das noch besser? Die Quantentheorie erlaubt die Kontrolle von kleinsten Teilchen auf einem völlig neuen Level. Was passiert, wenn Physiker*innen statt mit Lego mit Knete spielen?
Wir werden es bald erfahren.
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Quellen:
Jonathan P. Dowling, Gerard J. Milburn – Quantum technology: the second quantum revolution.
Gordon E. Moore – Cramming more components onto integrated circuits (https://newsroom.intel.com/wp-content/uploads/sites/11/2018/05/moores-law-electronics.pdf, abgerufen 08/20, nicht mehr verfügbar)
M. Mitchell Waldrop – The chips are down for Moore’s law, Nature