Manchmal muss man sich entscheiden. Manche Dinge hasst man zum Beispiel, oder man liebt sie. Wie Rosenkohl, Marzipan oder das Dschungelcamp. In anderen Fällen gibt es kein Entweder-oder und man muss sich für eine Seite entscheiden: Katzen oder Hunde, Edward oder Jacob, Welle oder Teilchen.
Doch was, wenn man sich einfach nicht entscheiden kann? Ich habe eine Freundin, die hat zwei Katzen und einen Hund. Die meisten Menschen schlagen hier ihre Hände über dem Kopf zusammen: Das geht doch nicht! Man kann doch nicht Hunde- und Katzenmensch gleichzeitig sein!
Anscheinend geht es doch. Manchmal kann man zwei Dinge gleichzeitig sein. Doch wenn dies in den Grundfesten der Physik geschieht, kann es große Probleme und hitzige Diskussionen aufwerfen. Wie zum Beispiel Anfang des 20. Jahrhunderts, als Albert Einstein das Licht in eine tiefe Identitätskrise warf: Welle oder Teilchen, was ist es denn nun?
Von Sehstrahlen zu Lichtstrahlen
Licht ist überall. Selbst mitten in der Nacht wird der Himmel noch von Sternen und dem Mond erhellt. Doch was ist Licht eigentlich? Man kann es nicht anfassen, nicht riechen, nicht festhalten (oder zumindest nur sehr schwer) und fast genauso schwer aussperren. Bereits in der Antike hat sich Pythagoras die Frage gestellt, wie wir eigentlich sehen. Er war der Meinung, dass von unseren Augen Sehstrahlen ausgehen, die von Objekten zu uns zurückgeworfen werden. Später stellte man jedoch fest, dass Licht nicht von den Augen ausgeht, sondern von den Objekten selbst, und dass Lichtstrahlen auf unsere Augen treffen. Im 17. Jahrhundert wurde es schließlich konkreter, und zwei grundverschiedene Ansätze bildeten sich heraus.
Isaac Newton vertrat die Ansicht, dass Licht aus Teilchen bestünde, die er Korpuskeln nannte. Mit dieser Theorie lässt sich zum Beispiel die Reflexion von Licht gut erklären. Reflexion ist das, was man im Spiegel oder auf einer Wasseroberfläche beobachten kann: Das Licht der Sonne wird von der Oberfläche eines Sees reflektiert, sodass man die Sonne im See sehen kann, ohne in den Himmel schauen zu müssen. Wenn Licht aus Teilchen besteht lässt sich das ganz einfach damit erklären, dass die Teilchen wie Flummis von der Oberfläche abprallen.
Licht wird jedoch nicht immer komplett an einer Oberfläche reflektiert. Wenn ein Lichtstrahl zum Beispiel in Wasser eintritt, ändert sich der Winkel, den es mit der Oberfläche bildet. Dieser Effekt heißt Brechung und lässt sich an einem Strohhalm in einem Glas Wasser beobachten: von der Seite betrachtet sieht es so aus, als hätte der Strohhalm einen Knick genau an der Stelle, wo er durch die Wasseroberfläche tritt. Das lässt sich im Teilchenbild von Licht nur schwierig erklären, aber Newton hat sich alle Mühe gegeben, seine Theorie zu verteidigen.
Reflexion und Brechung lassen sich jedoch ohne große Verrenkungen mit der Annahme erklären, dass Licht eine Welle sei. Die Wellentheorie des Lichts wurde insbesondere vom Niederländer Christiaan Huygens geprägt (dessen Nachname und seine Aussprache zu den großen ungelösten Problemen der Physik gehört). Doch auch die Physik ist nicht vor Beliebtheitswettbewerben sicher, denn trotz der Eleganz der Wellentheorie hat sich vorerst Newtons Korpuskeltheorie durchgesetzt.
Das Doppelspaltexperiment
Die Korpuskeltheorie hatte ihre Schwächen und die Experimente, die sie nicht erklären konnte, häuften sich. Ausschlaggebend für den Niedergang von Newtons Theorie war schließlich das 1802 durchgeführte Doppelspaltexperiment von Thomas Young. Er strahlte Licht auf eine Blende mit zwei Schlitzen (den Doppelspalt) und voilà, auf der gegenüberliegenden Wand erschien ein faszinierendes Muster aus hellen und dunklen Streifen. Ein einfaches, hübsches, und gleichzeitig bahnbrechendes Experiment, denn es lässt sich einzig mit der Wellentheorie des Lichts erklären.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Wellen und Teilchen ist die Art, wie sie mit ihren Artgenossen umgehen. Teilchen sind in der Regel wenig gesellig: treffen mehrere Teilchen aufeinander prallen sie wie Kugeln aneinander ab und gehen anschließend getrennte Wege. Wellen jedoch beeinflussen sich gegenseitig und können sich überlagern – wir nennen das Interferenz. Es gibt zwei Extremfälle: sind sich zwei Wellenzüge einig und schwingen auf die gleiche Weise, verstärken und unterstützen sie sich. Die beiden Wellen verschmelzen zu einer Welle mit doppelt so großem Ausschlag. Der Fachbegriff hierfür ist konstruktive Interferenz. Diesen Ausdruck kennen wir vor allem von der konstruktiven Kritik, die ebenfalls unterstützend und förderlich ist. Der andere Extremfall ist jedoch weniger freundlich. Sind die beiden Wellenzüge einander entgegengesetzt, löschen sie sich aus. Das Ergebnis der destruktiven Interferenz ist die Zerstörung der Wellen. Ganz wie bei destruktiver Kritik ist das Ergebnis also die völlige Vernichtung des Subjekts.
Die zwei Schlitze der Blende des Doppelspaltexperiments teilen das Laserlicht in zwei identische Wellen auf, die sich zwischen Blende und Wand überlagern. Das Streifenmuster an der Wand entsteht durch abwechselnde konstruktive und destruktive Interferenz. Das passiert aber nur, wenn Licht tatsächlich eine Welle ist, denn Teilchen würden sich deutlich anders verhalten. Schießt man zum Beispiel Bälle auf einen (sehr großen) Doppelspalt, findet man hinter den beiden Spalten je einen Haufen Bälle. Angenommen man schießt ohne groß zu Zielen (sei es aufgrund fehlender Absicht oder fehlenden Talents), dann erwischt man zufällig mal den einen, mal den anderen Spalt, und man hat zwei ungefähr gleich große Haufen hinter dem Schirm. Doch definitiv kein Streifenmuster.
Die letzte Krise des Lichts
Youngs Experiment schien die Sache ein für alle Mal zu klären: Licht ist eine Welle. Zwar lebte Young seiner Tage mit der Gewissheit, dass aus seiner Kerze Wellen kamen. Doch der Frieden hielt nicht lang, denn bereits hundert Jahre später geriet das Wellenbild wieder einmal ins Wanken. Auslöser waren Max Planck und Albert Einstein, die zwei Experimente diskutierten, die mit dem Wellenbild des Lichts unvereinbar waren – sie brauchten das Teilchenmodell. Also alles zurück auf Anfang? Ganz so einfach ist es nicht, denn natürlich konnte man die anderen Experimente, die nur mit Lichtwellen erklärt werden konnten, nicht einfach ignorieren. Maxwell zum Beispiel hatte gerade erst gezeigt, dass Licht eine elektromagnetische Welle ist. Sollte das nun doch falsch sein? Oder hatten Planck und Einstein sich geirrt?
Einstein schlug eine Theorie vor, die es so bisher noch nie gegeben hat. Vielleicht war er Anhänger von Sherlock Holmes und folgte seiner Devise
Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.
Sir Arthur Conan Doyle als Sherlock Holmes
Licht muss ein Teilchen sein. Licht muss aber auch eine Welle sein. Was schließen wir daraus, Watson? Licht muss offensichtlich beides sein.
Diese Behauptung ging (und geht noch heute) gegen jegliche Intuition. Doch die Indizien häuften sich. 1922 führte Arthur Compton ein weiteres Experiment durch, dass unbestreitbar den Teilchencharakter von Licht zeigt. In seinem Experiment schoss er Photonen, also Lichtteilchen, auf ein ruhendes Elektron. Er stellte fest, dass sich die beiden Teilchen im Prinzip genauso verhalten wie Billardkugeln: Stößt man ein Photon auf ein Elektron, gibt das Photon einen Teil seiner Energie an das Elektron ab und beide Teilchen bewegen sich in verschiedene Richtungen davon. Dieses Billardkugelverhalten ist typisch für Teilchen – Wellen würden sich ganz anders verhalten, wenn sie aufeinandertreffen. Der Teilchencharakter von Licht galt daraufhin als unbestreitbar und Compton erhielt für die Entdeckung des Compton-Effekts 1927 den Nobelpreis.
Welle-Teilchen-Dualismus
Man hatte Blut geleckt. Alles schien möglich! Wenn Licht, von dem wir dachten, es sei eine Welle, nun auf einmal auch ein Teilchen ist – sind dann Teilchen wohlmöglich auch Wellen? Die Antwort ist ebenso erstaunlich wie simpel: Ja.
Der Franzose Louis-Victor de Broglie war der Erste, der diese Behauptung in eine mathematische Formel übersetzte:
De Broglie hat diese Formel bereits während seiner Promotion aufgestellt. Sie ist Inhalt seiner Doktorarbeit, mit der er direkt mal einen Nobelpreis gewonnen hat. Diese Dissertation ist in der Physik zu einem kleinen Mythos geworden: Unser Professor sagte uns damals in der Vorlesung, dass de Broglies Doktorarbeit gerade einmal drei Seiten lang war, da die simple Eleganz seiner Formel keiner weiteren Ausführungen bedurfte. Das klingt zwar schön, stimmt aber leider nicht. Seine Arbeit ist alles in allem gute hundert Seiten lang und beinhaltet mehr als nur diese eine Formel.
Doch bahnbrechend war de Broglies Gleichung trotzdem. Sie verknüpft zwei Größen miteinander, die sonst ausschließlich Wellen oder Teilchen beschreiben. Die Wellenlänge λ bezeichnet den Abstand zwischen zwei Hügeln einer Welle. Der Impuls p, auf der anderen Seite, beschreibt das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit eines Teilchens. h ist eine Naturkonstante, die tief in der Quantenphysik verwurzelt ist: das Plancksche Wirkungsquantum. Diese Formel hat weitreichende Folgen: Sie besagt, dass jedes Teilchen, das etwas wiegt und sich bewegt, ebenfalls eine Wellenlänge hat. Sie sagte die Existenz von Materiewellen voraus.
Was bedeutet das? Es bedeutet: Das Elektron (zum Beispiel) ist nicht nur ein Teilchen, sondern auch eine Welle. Genau wie Licht nicht nur eine Welle ist, sondern auch ein Teilchen. Dieses Prinzip ist einer der Grundpfeiler der Quantenphysik, und es heißt allgemein Welle-Teilchen-Dualismus, denn es funktioniert in beide Richtungen.
Gewinner und Verlierer
Die Welleneigenschaft des Elektrons ist nicht nur mathematische Spielerei, sondern sie lässt sich auch experimentell beobachten. Und hier kommen wir zurück zum Doppelspaltexperiment – das Experiment, das nur mit Wellen funktioniert. Und tatsächlich: 1927 gelang es den beiden Physikern Clinton Davisson und Lester Germer der Bell Labs Interferenz von Elektronen zu beobachten. Sie schossen Elektronen auf ein Gitter (das im Prinzip genau das gleiche tut wie ein Doppelspalt) und sie sahen ein Interferenzmuster, ganz wie bei einer Welle!
Überraschenderweise hat fast zur gleichen Zeit auch jemand anders, nämlich der Brite George Thomson, das gleiche Experiment durchgeführt. Es ist erstaunlich, dass zwei unabhängige Gruppen zur gleichen Zeit exakt die gleiche Forschung betreiben, doch es passiert häufiger als man denkt. Das Ergebnis ist oft unvorhersehbar. In diesem Fall haben sich Thomson und Davisson den Nobelpreis für die Entdeckung geteilt. Und Germer? Er gilt als tragisches Beispiel für die Willkür des Nobelpreises [1]. Er wurde insgesamt 26-mal zusammen mit seinem Kollegen Davisson für einen Nobelpreis nominiert und ging am Ende doch leer aus. Das hat damals so ziemlich jeden überrascht. Lag es daran, dass er anfänglich nur der Assistent Davissons war?
Vielleicht war es auch der bekannte Familienname Thomsons, denn George Thomson ist der Sohn Joseph Thomsons, Nobelpreisträger und Entdecker des Elektrons. Er war allerdings nicht durch und durch erfolgreich, denn sein Rosinenkuchenmodell verlor gegen das Atommodell von Rutherford. Ich möchte jedoch auf die Ironie hinweisen, dass der Vater gezeigt hat, dass das Elektron ein Teilchen ist, während sein Sohn bewiesen hat, dass Elektronen sich wie Wellen verhalten. Meinungsverschiedenheiten gibt es selbst in den besten Familien.
Interferenz mit Katzen
Das Photon steht mit seiner Identitätskrise nun also nicht mehr allein, denn auch das Elektron wurde in den Grundfesten seiner Überzeugungen erschüttert. Wir haben jedoch rausgefunden, dass die beiden – so unterschiedlich sie auch scheinen mögen – am Ende doch sehr viel gemeinsam haben. Und nicht nur die beiden: de Broglies Formel besagt, dass jedes Teilchen im Grunde eine Welle ist.
Jedes Teilchen? Das wollen wir doch mal sehen! Seit Physiker*innen wissen, dass Interferenz auch mit Teilchen funktionieren, versuchen sie es auf die Spitze zu treiben. Elektronen, Atome, Moleküle – nichts ist mehr sicher. Das größte Teilchen, mit dem man bisher Interferenz beobachten konnte, war ein Molekül mit ca. 2000 Atomen [2]. Das Problem ist nur, dass die Wellenlänge immer kleiner wird, je schwerer das Teilchen, und das erschwert die tatsächliche Realisierung des Experiments extrem.
Doch auch 2000 Atome sind, aus unserer Perspektive gesehen, noch ziemlich klein. Was ist mit etwas Größerem, wie zum Beispiel… einer Katze? Kein Problem: rein theoretisch hat eine schlendernde Katze eine Wellenlänge von ca. 10-33 m (das sind 32 Nullen nach dem Komma und vor der 1). Das ist, gelinde gesagt, verdammt klein. Und das sage ich als Quantenphysikerin, die sich mit Lichtteilchen beschäftigt. Doch auch wenn die Wellenlänge einer Katze im Alltag keine Rolle spielt, so eignet sie sich immer noch als unnützes Partywissen. Und wenn ihr aus Versehen versucht mit diesem Katzenwissen einen Hundemenschen zu beeindrucken, dann erinnert euch daran, dass Gegensätze sich nicht immer ausschließen.
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Quellen
[1] How to almost win the physics Nobel
[2] Quantum superposition of molecules beyond 25 kDa
Hallo, danke für den kurzweiligen Artikel. Könnten Sie bitte noch die Angabe der Quelle hinzufügen, aus der hervorgeht, dass Thomas Young anno 1802 einen Laser verwendet hat? Danke 🙂
Danke für den Hinweis. Hier müsste natürlich einfach nur „Licht“ stehen, da der Laser erst 150 Jahre später erfunden wurde.